die jazzkolumne
: Vergeblich: Die US-Army wirbt Musiker an

Ein Krieg ohne Community

Nicht „50 ways to leave your lover“, sondern „Over 200 ways to be a Soldier“ hatte es in den letzten Monaten in einer ganzseitigen Reklame geheißen, welche die US-Army wiederholt in US-Jazz-Magazinen schaltete. Ein junger schwarzer Pianist in Uniform namens Raymond Akers sitzt an einem Flügel und strahlt in die Kamera, die Headline dazu: „Play the greatest music ever written. Like yours.“

Im März war die Anzeige auf Seite 3 platziert, in der April-Nummer der amerikanischen Zeitschrift Jazz Times hat die US-Army jetzt keine Anzeige mehr geschaltet. Vermutlich liegt dem gar keine, sagen wir mal, Anti-Kriegs-Initiative der Geschäftsführung der wichtigsten amerikanischen Jazzfachzeitschrift zugrunde: Auch im aktuellen Leitkommentar des Herausgebers steht schließlich wieder kein Wort zu den Kriegsvorbereitungen.

Stattdessen rätselt man in der Jazz-Wüste gerade über das Piano Trio „The Bad Plus“ und über 70er-Jahre-Weather-Report-Updates in Form der neuen Christian McBride CD „Vertical Vision“. Man wird auch nicht erfahren, wie viele Jazzmusiker sich aufgrund der Anzeigen beworben haben. Einige werden es bestimmt gewesen sein: Das Anfangsgehalt für US-Army-Musiker liegt bei etwa 40.000 Dollar jährlich, und eine aktuelle Studie geht davon aus, dass derzeit etwa 33.000 Jazzmusiker in und um New York potenziell auf Jobsuche sind.

Dass die Geschichte des Jazz von den Kriegen, welche die USA führen und geführt haben, nicht zu trennen ist, liegt auf der Hand. Das betrifft aber längst nicht nur den Victory-Swing eines Glenn Miller im Zweiten Weltkrieg. Dazu gehört auch die Vorjahres-CD „Vietnam: The Aftermatch“ des Geigers Billy Bang, der eine Band von afroamerikanischen Vietnamveteranen mit Drogen- und Alkoholproblemen zu einer Art musikalischer Selbsttherapie bewegte und so mit einer der beeindruckendsten Aufnahmen der letzten Jahre herauskam. Fast schon überflüssig zu erwähnen, dass diese CD in den USA keine Presse hatte.

Bush sei ein Faschist, sagt der Bassist Charlie Haden, der auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges das „Liberation Music Orchestra“ gründete. Doch die Auftritte dieses politisch motivierten Orchesters sind schon immer selten gewesen und immer seltener geworden. Haden sieht weder Notwendigkeit noch Bedarf für eine „Liberation Music“-Neuauflage in diesen Tagen. In der Jazz-Community scheint momentan keiner etwas mit der Politik der amerikanischen Regierung zu tun haben zu wollen, so klar wie selten zuvor wähnt man auch die Fronten im eigenen Land. Wen man auch fragt: Keiner meint in seinem Umfeld wen zu kennen, der für den Krieg ist.

Der New Yorker Jazz-Singer/Songwriter und Gitarrist Tony Scherr, sonst als Bassist mit Sex Mob und dem Gitarristen Bill Frisell unterwegs, macht derzeit seine erste Tour mit eigener Band. „Come Around“ heißt seine CD mit Low-Tempo-Songs, die beim Ein-Mann-Label smellslikerecords erschienen und nur schwer erhältlich ist (am besten über www.smellslikerecords.com versuchen).

Im Berliner Jazzclub b-flat sang er kürzlich informierte und inspirierte Songs über sein Leben in der New Yorker Downtown-Szene und bedankte sich beim Publikum für die Haltung der deutschen Regierung zu den Kriegsvorbereitungen am Golf. Etwas später beantwortete er backstage die Frage nach einem Song zur aktuellen Lage mit der Bemerkung, dass die reine Protesthaltung seit langer Zeit zur Pose erstarrt sei und so nicht weiterbringe. Scheers Zeitkommentar hat den Titel „What kind of friend are you“, sein Motto: Die Community ist wichtiger als alle Stilfragen.

Nein, dass die New Yorker Downtown-Szene in Klezmer und mit Norah Jones nun auch relativ erfolgreich in Country mache, sei nicht die „weiße“ Antwort auf Jazz At Lincoln Center – vom afroamerikanischen Publizisten Stanley Crouch selbstironisch „uptown Negroes“ genannt. In einer aktuellen Crouch-Kolumne ist hingegen von der unterdrückten Negro-Ästhetik die Rede und von weißen Kritikern, die den schwarzen Jazzmusiker als Projektionsfläche für Rebellion, Sex und Authentizität nicht mehr brauchen. Denn Crouch hat neue Kräfte ausgemacht, die die black community gern wieder in den Hintergrund drängen würden.

Derlei Verschwörungstheoreme sind nicht neu, aber die Protagonisten wechseln. Momentan ist es der weiße Trompeter Dave Douglas, den Crouch als Symbol einer Anti-Negro-Koalition ausgemacht hat. Während Douglas auf seiner neuen CD „Freak In“ für den Weltfrieden wirbt, sieht Crouch den Jazz-Kanon in Gefahr, und der sei nun mal vor allem eine Entdeckung des schwarzen Amerikas. Dass die US-Army mit einem schwarzen Musiker in Uniform wirbt, korrespondiert nicht allzu entfernt mit dem Problem, das Crouch anspricht.

CHRISTIAN BROECKING