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Archiv-Artikel

Bezirk will aus den Schlagzeilen

Mit einem umfangreichen Kulturprogramm will der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg am 1. Mai einen Traditionswechsel einleiten. Die Polizei zeigt sich höchst erfreut

Weg vom Straßenkampf hin zum Straßenfest – in diesem Sinne möchte die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer (PDS), den 1. Mai neu beleben. Vorbild für die Initiative, an der auch die Luisenstadt Genossenschaft, der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) und Gewerbetreibende der Oranienstraße beteiligt sind, ist das Personenbündnis „Denk Mai neu“ des Politikprofessors Peter Grottian. Grottian wollte den 1. Mai im vergangenen Jahr friedlich repolitisieren, war aber mangels Unterstützung durch die linksradikale Szene gescheitert. Zudem war auf sein Auto ein Brandanschlag verübt worden.

„Der Bezirk hat es nicht verdient, immer nur mit Gewaltschlagzeilen in den Medien zu stehen“, kündigte Reinauer gestern für den 1. Mai ein groß angelegtes Kulturprogramm auf dem Oranienplatz, dem Heinrichplatz und am Kottbusser Tor an. Geplant seien Konzerte, Theater, Filme und Kleinkunstdarbietungen. Der Türkische Bund will nach Angaben seiner Sprecherin Eren Ünsal versuchen, einen türkischen Star zu engagieren „der viele Migranten anzieht“. Das Programm, das von dem Luisenstädtischen Verein koordiniert wird, soll Mitte April stehen. An die Anwohner appellierte Reinauer, am 1. Mai nicht aus dem Kiez zu flüchten, sondern abends gemeinsam auf der Straße Kultur zu genießen und damit zugleich ein Stück weit soziale Kontrolle auszuüben. Sie glaube zwar nicht, dass es gelingen werde, sämtliche Gewaltausbrüche zu unterbinden. „Aber je mehr soziale Kontrolle vor Ort ist, umso größer ist die Chance, Randale zu verhindern“, so Reinauer.

Was die Initiative auf keinen Fall wolle, sei, die traditionellen Kreuzberger 1.-Mai-Demonstrationen verdrängen. „Die vier Demonstrationen gehören zu Kreuzberg“, betonte die Bürgermeisterin. Finanziert werden soll das Programm sowohl vom Bezirk als auch durch eine Finanzspritze des Senats, denn es handele es sich um eine präventive Maßnahme. Wenn Steine flögen, entstünden schließlich auch Kosten, argumentiert Reinauer. Mit der Polizei sei sie in enger Abstimmung und erwarte von dieser für den Tag „größtmögliche Zurückhaltung.“ Es werde aber keine polizeifreien Räume geben.

Bei der Polizei stößt das Engagement des Bezirks auf ungeteilte Zustimmung. „Das ist der richtige Weg“, sagt der Vizechef der Schutzpolizei, Alfred Markowski, der am 1. Mai den Einsatz leiten wird. Aus 16 Jahren Randale hat er das Fazit gezogen, dass die Polizei es aus eigener Kraft nicht schaffen wird, den 1. Mai zu befrieden. „Wir haben die unterschiedlichsten strategischen Ansätze probiert, vom Verbot bis hin zur weichen Linie, aber unsere Einflussmöglichkeiten sind begrenzt“, so Markowski.

„Wir sind froh, dass sich der Bezirk seiner Verantwortung stellt“, sagt auch der für die Direktion 5 (Kreuzberg und Neukölln) zuständige Polizeidirektor Stefan Weiß. Er hofft, dass sich nun auch die Schulen und Jugendfreizeiteinrichtungen im Vorfeld mit dem 1. Mai beschäftigen. Eine polizeiliche Auswertung der Mai-Randalen von 2001 und 2002 hat ergeben, dass von den identifizierten Straßenkämpfern 53 Prozent Jugendliche und Heranwachsende im Alter von 14 bis 21 Jahren waren. 78 Prozent kamen aus Kreuzberg, Neukölln oder Friedrichshain. 92 Prozent waren männlich, wobei der Anteil der weiblichen Beteiligten aber leicht im Steigen begriffen war. 25 Prozent waren arbeitslos, 20 Prozent Schüler. 20 Prozent standen unter Alkoholeinfluss. Die Tatsache, dass 68 Prozent zuvor schon durch allgemeine Kriminalität aufgefallen waren, aber nur 10 Prozent wegen politischer Delikte, ist für Schutzpolizei-Vizechef Markowski die Bestätigung dafür, dass mit dem Krawall „kaum noch ein politisches Anliegen verbunden wird“. Im Gegenteil. „Einmal im Jahr die Sau rauszulassen gilt als cool“, sagt Weiß.

Letzteres ist denn auch der Grund dafür, warum die Polizei für den 1. Mai eine Doppelstrategie vorbereitet: größtmögliche Zurückhaltung, solange alles friedlich ist – aber sofort zur Stelle sein, wenn der Kampf entbrennt. PLUTONIA PLARRE