: Eine Party, auf der man niemanden kennt
Mit „Christiane Müller zieht um“ setzt die Gruppe Two Fish ihre Erforschung des „performativen Privatdaseins“ fort
Am Anfang war es möglicherweise die Suche nach dem Echten, dem unverfälschten Leben, die Angela Schubot und Martin Clausen dazu brachte, Tanz und Text in Wohnungen aufzuführen: dort, wo die Enge der Wände, der kurzen Kurven in den Fluren jede Bewegung bricht und andere Kompromisse verlangt als jede Bühne. Die Wohnung als Ort der Recherche über die Hardware, die den alltäglichen Körper programmiert. Aber dieser Hunger nach dem Realen wird in den Aufführungen von Two Fish, wie Schubot und Clausen ihre Gruppe nennen, sehr bald von einer anderen Erkenntnis überlagert. Privatheit schützt vor Inszenierung nicht, kein Raum ist zu klein für eine Aufführung, selbst das Intime folgt öffentlichen Erzählformen.
So widmet sich Two Fish seit drei Jahren der Erforschung des „performativen Privatdaseins“. Das ist kultverdächtig. Denn erstens passen immer nur wenige Zuschauer zwischen die Performer in solch einer Wohnung und müssen sich selbst dann noch zwischen vertrocknetem Efeu und wummernden Boxen an die Wand pressen. Man möchte nicht im Weg stehen, wenn diese zu der Rebellion ansetzen, die sie unterschwellig ständig versprechen. Zweitens haben Angela Schubot, die als Tänzerin auch bei Constanza Macras auftritt, und Martin Clausen, der zum Team von Nico and the Navigators gehört, schon eigene Fangruppen. Drittens ist das Echo auf ihre bisherigen Produktionen außerordentlich.
Zuletzt wurden sie in der Zeitschrift ballettanz als die „Senkrechtstarter aus der Hauptstadt“ beschrieben. Bei diesem Ruf ist es dann erstaunlich, am Ort ihrer neusten Produktion „Christiane Müller zieht um“ in der Wöhlertstraße 9 mit fünf anderen winterfest verpackten Menschen eine Weile vor der Tür zu frieren, weit entfernt von jedem Szeneschick. Die zuletzt Gekommenen starren in der Wohnung anfangs genauso verlegen auf ihre Schuhspitzen wie die ersten Besucher, bevor sie sich als Akteure outen.
Da muss man als Zuschauer aktiv die Rolle des Voyeurs auf sich nehmen, sonst wird das nichts. Überwindung des Ekels gehört dazu angesichts alter Sexposter an den fremden Wänden. Aber auch, um Thomas Conway zuzuhören, Schauspieler aus London, der Kindheitsgeschichten über Unglück, Enge, Armut, Missbrauch aufeinander türmt, sozusagen eine Karriere als Opfer, gegen die man sich nur mit Misstrauen schützen kann.
Etwas leichter ist es da schon, dem norwegischen Tänzer Brynjar Bandlien zu folgen, wie er sich in seinem Körper verkriecht, den Autismus der Pubertät, und dann schmerzhaft gegen die Zimmerwände anspringt, als wären sie bloße Gegner im Basketball.
Richtig froh schaut man schließlich einem Wohnzimmerbasketballspiel zu, bei dem Angela Schubot den Ball mimt, sich von den Händen der Jungs dribbeln lässt, um schließlich durch deren zum Korb gerundete Arme zu gleiten. Plötzlich hat da unheimlich viel Lebendigkeit und Witz in der Bude Platz, die Beklommenheit verfliegt. Dann aber hocken sie wieder eng nebeneinander und tauschen Sätze über Kontaktformen aus, Sammlungen von Situationen des Unangenehmen; Gefühle, in denen man nicht zu Hause ist.
Die beschriebenen Situationen lösen sich von den Körpern, das Konkrete zerfleddert ins Vage. Die Aufführung wird einer Party immer ähnlicher, bei der man niemand kennt. Two Fish bleibt bei dieser Form nicht stehen.
Wie schon bei vorherigen Wohnungsstücken wird es auch von „Christiane Müller zieht um“ eine Bühnenfassung in den Sophiensälen geben: Dann müssen die Darsteller den Raum imaginär aus ihren Bewegungen rekonstruieren. Es ist dieser Wechsel zwischen den Ebenen des Realen und Theatralischen, zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten, der ihren Projekten das Banale nimmt. Sie haben eine eigene Position gefunden, die Transformation von Leben in Kunst unter kritische Beobachtung zu stellen.
KATRIN BETTINA MÜLLER
„Christiane Müller zieht um“ läuft in der Wöhlertstr. 9, 20 Uhr, bis 3. Feb. und 3. + 4. März. Reservierung erforderlich unter 2 83 52 66. In den Sophiensälen 25.–29. Feb., 5.–7. März.