: Der Traum von der Mini-Atombombe
Die Gelder für die Entwicklung einer Atombombe, die unterirdische Bunkeranlagen zerstört, sind vom US-Senat bereits bewilligt. Kritische Forscher bezweifeln jedoch, dass es möglich sein wird, eine „saubere“ Atombombe zu bauen
„Wie eine kleine Atombombe“ – so beschrieben Militärexperten die Wirkung der vor zwei Wochen im US-Bundesstaat Florida getesteten Bombe „Moab“ (Massive Ordnance Air Blast), der größten jemals gebauten konventionellen Bombe. Ginge es nach dem Pentagon, dann bedürfte es schon längst keiner Vergleiche mehr, sondern dann hätten die USA längst einsatzbereite „Mini-Atomwaffen“.
Der mehr als ein Jahrzehnt alte Traum so mancher US-Atomwaffenstrategen könnte bald Wirklichkeit werden. Im November letzten Jahres bewilligten der US-Senat und das US-Repräsentantenhaus Finanzmittel in Höhe von 15,5 Millionen Dollar für ein Forschungsprogramm zum so genannten Robust Nuclear Earth Penetrator, einer Mini-Atombombe, die extrem gut geschützte und tief in der Erde vergrabene Bunker und Waffenlager vernichten soll.
Verhindert wurden Forschung und Bau der mini-nukes bisher vor allem durch politische Verpflichtungen der USA wie den Atomwaffensperrvertrag und ein US-Gesetz, das den Bau von Atomwaffen mit einer Sprengkraft von unter 5 Kilotonnen TNT verbietet.
Zwar haben US-Abgeordnete die Forschungsgelder nur unter Vorbehalt bewilligt. So soll eine Studie zuerst die Auswirkungen einer Mini-Atombomben-Explosion auf die Zivilbevölkerung klären. Doch wie ernst es dem US-Verteidigungsministerium mit der neuen Waffe ist, zeigte das Protokoll einer Sitzung im Pentagon vom Januar diesen Jahres, das der „Los Alamos Study Group“, einer Nichtregierungsorganisation, die US-Atomwaffenaktivitäten studiert, vor kurzem zugespielt wurde: In allen Schaltzentralen des US-Militärs und in allen drei Waffenlaboratorien der USA, Los Alamos, Sandia und Livermore, sind Wissenschaftler und Strategen damit beschäftigt, die Hürden für den Bau von Mini-Atomwaffen zu beseitigen.
Die Ergebnisse dieser Bemühungen sollen Anfang August in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska auf einem geheimen Koordinationstreffen diskutiert werden. Dort könnte auch über den Bau der mini-nukes entschieden werden.
Eingesetzt werden sollen diese Waffen gegen „harte und tief vergrabene Einrichtungen“, in denen nukleare, chemische und biologische Waffen lagern, wie etwa Admiral John T. Byrd, Planungsdirektor beim Strategischen Oberkommando der US-Armee, im Juni letzten Jahres in einer Anhörung vor US-Abgeordneten in Washington sagte.
Etwa 10.000 solcher Anlagen soll es nach Schätzungen von US-Geheimdiensten in aller Welt geben. Davon einige hundert in den als „Schurkenstaaten“ eingestuften Ländern wie Irak, Iran und Nordkorea, die so gut geschützt sind, dass sie laut Byrd „nicht einmal mit existierenden Atomwaffen“ zu vernichten seien. Das soll der geplante „Robust Nuclear Earth Penetrator“ können – und zwar, so heißt es, „mit minimalen Kollateralschäden“.
Er besteht im Wesentlichen aus zwei Komponenten: Der Mini-Atombombe und einer Ummantelung aus sehr hartem Material wie abgereichertem Uran oder Stahl-Titan-Legierungen. Abgeworfen aus großer Höhe, bohrt sich der RNEP mit einer Geschwindigkeit von mehreren Kilometern pro Sekunde in den Boden über seinem Ziel. Unter der Erde wird dann die Mini-Atombombe gezündet.
Die Schockwelle der Explosion soll selbst Bunkeranlagen zum Einsturz bringen, die mit einem Äquivalent einer 100-Meter-Betondecke geschützt sind. Hitze und radioaktive Strahlung würden anschließend Chemie- und Biowaffen für immer unschädlich machen.
Nach den Vorstellungen der US-Militärs bleibt die Atombombenexplosion vollständig unterirdisch, so dass durch die Explosionswucht kein gefährliches Material hochgeschleudert wird, über der Erde kein radioaktives Fallout entsteht und Zivilisten nicht gefährdet sind.
Kritiker bezweifeln diese Vision einer sauberen Atomwaffe ohne Kolateralschäden. „Unsinn“, nennt sie Robert W. Nelson, Physiker an der Universität Princeton und Autor einer viel zitierten Studie über bunkerbrechende Mini-Atomwaffen: „Eine Atomwaffe, deren Einsatz man als chirurgischen Schlag bezeichnen könnte, die also nicht in Massen Menschen tötet, wird niemand je produzieren. Das ist ganz einfache Physik.“
In seiner Untersuchung berechnete Nelson, dass eine Atombombe mit einer Sprengkraft von 0,1 Kilotonnen, also etwa einem Hundertstel der Hiroshima-Bombe, mindestens 70 Meter unter der Erde gezündet werden müsste, damit die Explosion tatsächlich vollständig unterirdisch stattfindet. „Es gibt kein Material, das hart genug ist“, so Robert W. Nelson, „um einen Einschlag mit mehreren Kilometern pro Sekunde und ein Eindringen in eine solche Tiefe unbeschadet zu überstehen. So ein Material wird auch kein Forscher finden. Denn die Härte existierender Materialien müsste nicht um den Faktor zwei erhöht werden, sondern um den Faktor hundert. Sonst wird die Waffe einfach zerstört.“
Die Erfahrungen des US-Militärs sind ähnlich. Seit den Fünfzigerjahren wird an Bunker brechenden Atomwaffen geforscht, und seit 1997 verfügt die US-Armee mit der Waffe der Typenbezeichnung B 61-11 über den bisher modernsten atomaren Bunkerbrecher, für den existierende Atomsprengköpfe mit mehr als 5 Kilotonnen Sprengkraft in einen Stahlmantel mit gehärteter Spitze gepackt wurden.
Bei Tests schnitt die B 61-11 mehr als mäßig ab. Aus 13.000 Metern Höhe abgeworfen, konnte sie gerade einmal 7 Meter in die Erde eindringen – nicht annähernd weit genug für eine ausschließlich unterirdische Atomexplosion.
Tief unter die Erde zu kommen ist nicht das einzige Problem der Waffenforscher. Selbst wenn das gelänge, müsste beispielsweise immer noch ein Weg gefunden wären, um die empfindliche Innenelektronik einer solchen Mini-Atombombe vor der Einschlagswucht zu schützen. Ein Rezept dafür gibt es bisher nicht.
„Wenn es bessere Möglichkeiten als die B 61-11 gäbe“, kommentiert Charles D. Ferguson, Physiker am „Center for Nonproliferation Studies“ in Washington, „also Mini-Atomwaffen, die nicht viel Erde und Staub aufwirbeln und kein radioaktives Fallout produzieren, dann hätten die Welt davon längst gehört“.
Natürlich werden Waffenspezialisten versuchen, die Sprengkraft zu verringern und die Eindringtiefe zu vergrößern und möglichst wenig Fallout zu schaffen. Aber wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen zerstört werden sollen, die er möglicherweise in einem Bunker tief unter Bagdad versteckt hat, dann ist es schwer vorstellbar, dass dabei kein Risiko für Zivilisten entsteht.“
Wissenschaftler von der „Federation of American Scientists“ haben errechnet, dass, wenn eine hypothetische Mini-Atombombe von bis zu 5 Kilotonnen Sprengkraft in einer urbanen Umgebung nicht vollständig unterirdisch explodiert, allein in den ersten 24 Stunden 10.000 bis 50.000 Menschen durch die radioaktive Strahlung sterben würden.
„Das ist zwar wenig im Vergleich zu herkömmlichen Atomwaffen“, so Robert W. Nelson. „Aber wenn das im Pentagon Kollateralschaden genannt wird, ist das einfach grauenhaft.“
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