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Archiv-Artikel

Gerhard Schröder Superstar

Für manchen Jugendlichen ist der Antikriegskurs des Kanzlers im Grunde das Verdienst der deutschen Bevölkerung: „Weil wir alle gegen den Krieg sind“

aus Berlin INA KÖHLER

Zumindest für die Berliner Schüler waren gestern nicht mehr die Teenies der TV-Castingshows die Superstars, sondern die Politiker der Regierungsparteien: „Gerhard Schröder ist unser Held“, sagt die 15-jährige Josephine Wagner, „denn er ist gegen den Krieg.“ Dass die Regierung den USA Überflugrechte gewährt, schmälert dabei die Begeisterung der Schülerin des Berlin-Hellersdorfer Sartre-Gymnasiums für den Kanzler nicht: „Wir sind doch von den USA abhängig, da muss er schon Kompromisse eingehen.“

Josephine ist mit ihrer Klasse dem Aufruf der Gruppe „SchülerInnen gegen Krieg/Widerstand international“ zur Demo auf dem Alexanderplatz gefolgt. 50.000 Schüler bereiten dem Krieg ein gellendes Pfeifkonzert. „Mit 6.000 Teilnehmern haben wir gerechnet“, sagt die 17-jährige „Pressesprecherin“ Vivien Hellwig, „aber das hier ist unglaublich.“ Liebevoll mit Glitzersternchen beklebte Pappen verkünden: „Krieg ist keine Lösung“, brav bezopfte Mädchen stehen neben coolen Rappern. Sie sind wie alle Demonstranten dagegen, aber sie sind nicht gegen die Regierenden, sondern gegen Gewalt und gegen den Krieg. Sie alle antworten mit einem klaren „Ja“, wenn sie gefragt werden, ob sie die Antikriegshaltung des Kanzlers gut finden. Aber sie strafen auch die Ansicht Lügen, die heutige Jugend interessiere sich nicht für Politik. „Natürlich interessieren wir uns dafür“, sagen auch Belinda und Tina. Angela Merkel liegt für die Mädchen mit ihrer Antiregierungshaltung voll daneben: „Sie beschädigt doch das deutsche Ansehen mit ihrer Haltung.“

Dass sich schon 12-Jährige durchaus eine Meinung bilden, das bestätigt auch Lehrer Ralf Guderian: „Die Schüler sind emotional unheimlich betroffen und werden durch ein solches Ereignis natürlich politisiert.“ Dass Amerika sich gegen das Veto der UNO stellt, verstöre die meisten seiner Schüler gerade auch deshalb, weil er vorgestern mit ihnen in der Gedenkstätte Sachsenhausen gewesen sei.

Die Jugendlichen beurteilen die Regierenden durchaus differenziert. Für Reginald Carrleaux aus Haiti und seit vier Jahren Schüler des französischen Gymnasiums in Berlin-Tiergarten ist Schröder kein Held. Der hagere 17-Jährige mit den Dreadlocks findet den Kanzler unglaubwürdig, weil er angekündigt hat, die Arbeitslosen unter 3,5 Millionen zu drücken: „Das hätte er nicht sagen dürfen, aber dass er gegen den Krieg ist, das finde ich wirklich gut.“ Für den Diplomatensohn ist es „toll, dass Deutschland endlich mal mit etwas Positivem in der Welt auffällt“. Für seinen 19-jährigen Kumpel Arnaud Schnorteil ist die Antikriegshaltung von Rot-Grün auch ein Verdienst der Bevölkerung: „Die können doch diese Meinung nur vertreten, weil wir alle gegen den Krieg sind.“

Interesse für Politik ist für ihn selbstverständlich, seine Mutter habe ihn schon als Fünfjährigen zu Demonstrationen mitgenommen: „Ich habe großes Glück gehabt, dass ich schon so früh damit in Berührung gekommen bin“, sagt er. Natürlich werde auch in der Schule über aktuelle Themen gesprochen. Sozialpolitik, Arbeitslosigkeit, Atomausstieg, Umwelt – das seien die Themen, die ihn und seine Freunde interessieren.

Für manche der jugendlichen Teilnehmer ist der Krieg nicht so weit weg, wie man glauben könnte. Die 15-jährige Suleymana Suljić ist mit ihren Eltern aus Bosnien geflüchtet. Natürlich sei sie den Soldaten dankbar, die den Konflikt auf dem Balkan beendet haben, auch dass der 11. September nicht unbeantwortet bleiben könne, versteht sie. Trotzdem sei sie gegen den Einmarsch der Amerikaner: „Da werden doch lauter Unschuldige getroffen“, sagt sie. „Und ich weiß, wie sich jetzt die Kinder dort fühlen.“