: Ein Blitzkrieg Richtung Bagdad
Die US-Truppen im Irak warten nicht auf das Ende der Kämpfe im Süden, um die Hauptstadt anzugreifen. An drei Fronten verläuft der alliierte Angriff
von DOMINIC JOHNSON
„Einen Feldzug wie kein anderer in der Geschichte“ hatte US-Oberkommandierender Tommy Franks versprochen, „charaktierisiert durch Schock, Überraschungen und Flexibilität.“ Er hat Recht behalten. Der britisch-amerikanische Krieg gegen Saddam Hussein geht schneller als angekündigt und verläuft heftiger. Am morgigen Dienstag schon, so erwarten britische „Militärkreise“ nach Agenturmeldungen, könnten die alliierten Armeen vor der irakischen Hauptstadt stehen. „Wir rechnen für Montagnacht oder Dienstag mit der Bodenoffensive auf Bagdad“, hieß es in der Stellungnahme. Gestern Abend befanden sich die vordersten Einheiten nur noch 100 Kilometer südlich von Bagdad, nahe der Stadt Kerbala.
Dieser Blitzkrieg hat eine politische Funktion. Die Städte Kerbala und Najaf, in dessen Nähe US-Truppen bereits am Samstag gemeldet wurden, sind „heilige Städte“ der Schiiten, die traditionell in Opposition zum Regime von Saddam Hussein stehen. Sie mussten Aufstände mehrmals mit brutaler Repression büßen. Ähnlich wie bei den Kurden im Nordirak hoffen die US-Amerikaner offenbar, durch ihre Nähe die schiitische Zivilbevölkerung zum Aufstand zu ermutigen – als Beginn eines Dominoeffekts, der ohne verlustreiche Schlachten zum Sturz Saddam Husseins führen könnte.
Militärisch ist die Sache komplizierter. Der Vorstoß über Kerbala Richtung Bagdad ist am Westufer des Euphrat erfolgt, also ohne Überquerung eines einzigen der beiden großen Flüsse, die den Irak teilen und deren problemlose Überquerung das Rückgrat jeder erfolgreichen Militärstrategie im Zweistromland bilden muss. Versuche, dauerhaft jenseits des Euphrat Fuß zu fassen und die Verkehrsverbindungen zwischen Bagdad und dem Südirak zu unterbrechen, bilden den Schwerpunkt des zweiten großen Vorstoßes der US-Bodentruppen: auf die Stadt Nassiriya weiter südlich, etwas über 100 Kilometer von der kuwaitischen Grenze entfernt.
In Nassiriya waren gestern noch heftige Kämpfe im Gange. Es besteht die Befürchtung, dass eine irakische Niederlage dort den Ausschlag für einen Einsatz von Chemiewaffen durch die irakischen Streitkräfte geben könnte. „Die Iraker wären verrückt gewesen, hätten sie schon an der Grenze Chemiewaffen eingesetzt“, zitierte der britische Sunday Telegraph gestern Militärgeheimdienstoffizier Patrick Trueman. „Aber der Euphrat hat Schlüsselfunktion für Saddam Hussein. Wenn der überquert ist, ist die Straße nach Bagdad offen.“
Die dritte Dimension der Bodenoffensive ist die strategisch unwichtigste, aber taktisch komplizierteste. Es handelt sich um die Vormärsche US-amerikanischer und britischer Truppen im äußersten Südosten um die Millionenstadt Basra und die Hafenstadt Umm Kasr. Umm Kasr, der einzige Tiefseehafen des Irak in Sichtweite der kuwaitischen Grenze, wird seit Donnerstag täglich von den alliierten Streitkräften als eingenommen gemeldet, bis dann weitere Kämpfe eingestanden werden müssen.
Der neueste Stand gestern war, dass der hartnäckige Widerstand von 120 Republikanischen Garden durch Luftangriffen gebrochen werden konnte. Iraks Informationsminister Mohammed Said al-Saif behauptete jedoch, die alliierten Truppen würden in Umm Kasr in eine Falle gelockt. Britische Korrespondenten in der Stadt berichteten zugleich von Befreiungsstimmung unter der Bevölkerung und von Plünderungen der Häuser von Baath-Partei-Führern.
Die Kontrolle Umm Kasrs ist nicht nur von militärischer Bedeutung. Über den Hafen verlassen Ölexporte den Irak, und sämtliche Importe von Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern im Rahmen des Programms „Öl für Lebensmittel“ der UNO kommen über Umm Kasr in das Land. Das UN-Programm ist seit Beginn vergangener Woche suspendiert, könnte aber theoretisch jederzeit wieder aufgenommen werden. Die alliierten Armeen wollen den Fluss von Hilfsgütern über Umm Kasr so schnell wie möglich wieder in Gang bringen – als konkretes Signal, dass ihr Einmarsch die Lage der Bevölkerung verbessert. In Kuwait sind bereits Vorräte angelegt worden, die jederzeit im Irak verteilt werden könnten. Eine Wiederöffnung des Hafens Umm Kasr würde auch den militärischen Nachschub für die britischen und US-amerikanischen Truppen erheblich erleichtern.
Die Stadt Basra ist offenbar von US-Amerikanern und Briten umzingelt und bombardiert, aber nicht eingenommen worden. Von britischer Seite hieß es, man wolle in Verhandlungen mit den irakischen Kommandanten die friedliche Übergabe der Stadt erreichen.
Das kann dauern, aber das ist den Invasoren egal. Die US-Armee wird in ihrem Vorstoß auf Bagdad nicht auf den Fall Basras warten. Seit es motorisierte Infanterie gibt, gehört es zu den Grundprinzipien intelligenter Kriegführung, sich nicht am erstbesten Widerstandsnest festzubeißen, sondern möglichst schnell in Richtung des wesentlichen Kriegsziels vorzustoßen. Der in den USA jetzt häufig gebrauchte Begriff der „Enthauptung“ als Kriegsstrategie entspricht dieser Überlegung: Aus Sicht der USA und Großbritanniens muss eine neue Regierung in Bagdad so schnell wie möglich installiert werden. Dann hätten weiterkämpfende Anhänger des Diktators keine Führung mehr, und die USA könnten auch vor Ende der Kampfhandlungen in allen Landesteilen den Sieg ausrufen, zusammen mit einer neuen irakischen Führung.