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Archiv-Artikel

Tote träumen schlecht

Der Animationsfilm „Film Noir“ von Jud Jones und Risto Topalski läuft im Programm „Animamotion“ im Kino 46

„Die Straßen waren schwarz nicht vom Dunkel der Nacht allein …“ schrieb Raymond Chandler und prägte damit so etwas wie den ersten Psalm des Film noir. Er entwickelte zusammen mit seine Kollegen Dashiell Hammett und James M. Cain das Muster und die Atmosphäre der düsteren Kriminal-Dramen, die im Kino von Regisseuren wie Fritz Lang, Billy Wilder und Otto Preminger zu dem gemacht wurden, was französische Kritiker dann den „film noir“ nannten. Wie lebendig das Genre auch heute noch ist, kann man daran messen, dass Christian Petzolds neuer Film „Jerichow“ eindeutig auf „The Postman Always Rings Twice“ von Cain beruht. Ein Markenzeichen des Genres ist der möglichst bizarre und makabre Anfang. So beginnt etwa „Sunset Boulevard“ von Wilder damit, dass der Ich-Erzähler tot in einem Swimmingpool treibt und in „D. O. A.“ erzählt ein Mann in einer Polizeiwache, er sei gerade ermordet worden. Auch Amnesie war für solche dramaturgischen Effekte sehr beliebt, und so ist der Zuschauer gleich mitten drin in der Zitatenkammer der schwarzen Serie, wenn „Film noir“ damit anfängt, dass ein Mann nachts bei den berühmten Buchstaben über Hollywood aufwacht, neben sich einen erschossenen Polizisten sowie in seiner Hand eine Pistole findet, und keine Ahnung hat, wer er ist.

Auf der Suche nach sich selbst begegnet er den üblichen Verdächtigen und erlebt mit ihnen die erwarteten haarsträubenden Abenteuer. Beim Film noir war schon immer der Stil wichtiger als der Inhalt. Mit seinen Schatten, expressionistischen Perspektiven und ausgeprägter Metaphorik war er schon immer ein sehr graphisches Genre – die Kameramänner malten viel in Schwarz- und Grautönen. Deshalb bietet sich dieser Stil auch besonders für einen Animationsfilm an, und mit „Sin City“ hat der Comiczeichner Frank Miller zusammen mit Robert Rodriguez schon das Werk in diesem Stil geschaffen, an dem sich alle Nachfolgenden messen lassen müssen. An dessen Brillanz und Einfallsreichtum reicht „Film Noir“ nicht ganz heran, aber immerhin haben Jud Jones und Risto Topaloski einen stimmigen Ton für ihren Film gefunden, den sie konsequent durchhalten – und ihr Film hat jenen bösenWitz, der alle guten Vorgänger auszeichnet.

Animiert ist der Film in schwarzweiß, wobei oft einzelne Details in Signalfarben aufschreien. So sind etwa Blut und Lippenstift rot, die Augen einer Femme fatale blau und eine Ampel flackert in grün. Die Figuren sind im Pop-Art-Stil zu Zeichen reduziert, bewegen sich aber flüssig in 3-D und die Hintergründe sind zum Teil durch Filter verfremdete Aufnahmen vom heutigen Los Angeles. All das ist in einen coolen Jazz mit viel Saxophon getaucht, und anders als bei den Vorbildern, die sich mit einer prüden Zensur herumplagen mussten, können die Animateure sich bei den Sexszenen so richtig schön austoben. Da gibt es fantastische Oberweiten und schicke Intimrasuren zu bewundern, aber dafür wird viel weniger geraucht.

In Deutschland wurde der Film nur als DVD veröffentlicht, und so bietet das Kino 46 die Gelegenheit, ihn in einem dunklen Kino zu zeigen. Unter dem Programmschwerpunkt „Animamotion“ wird noch zwei Wochen der Schnittpunkt von Film, Comic und Computerspiel untersucht. Gezeigt werden u. a. noch die japanischen Mangas „Appleseed“ und „Vexville“ sowie der wunderbare „American Splendor“, in dem der real lebende Exzentriker Harvey Pekar sich selbst als Comicfigur und in der dritten Potenz als diese spielenden Schauspieler begegnet. Das ist ähnlich absurd wie der Plot eines Film noir. WILFRIED HIPPEN