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Archiv-Artikel

Der Erfolg eines Bauarbeiters

Feti Karasahin kam in den 60er-Jahren aus Ostanatolien als „Gastarbeiter“ nach Berlin. Heute ist er nicht mehr oft in der Stadt. Wenn, dann sitzt der Rentner abends immer in dem Cafe seines Sohnes Ali in Kreuzberg und trinkt Tee mit Honig. Ein Porträt

von HELMUT HÖGE

Herr Karasahin sitzt an der Theke des Cafés Advena in der Wiener Straße und trinkt einen heißen Zitronensaft mit Honig. Er ist Rentner, die meiste Zeit des Jahres lebt er in Istanbul, in einer Wohnung mit Garten am Bosporus, nur Mai und Juni verbringt er in einem Sommerhäuschen in Antalya. Wenn er in Berlin ist, wohnt er in der Forster Straße – in einer Wohnung, die er 1969 anmietete.

Feti Karasahin wurde 1942 in einem Dorf in der Osttürkei geboren. Bereits als Kind musste er schwer arbeiten: „Erst Holz aus dem Wald schleppen und später für die Männer einer Zementfabrik Wasser holen.“ 1960 bekam er eine reguläre Arbeit auf einer Baustelle, danach musste er zum Militär. 1966 stellte er sich in Istanbul einer deutschen Musterkommission, um sich als Gastarbeiter in der BRD zu verdingen. Die Ärzte bemängelten seine starke Sehschwäche – aber er hatte damals noch kein Geld für eine Brille.

Auf dem Frankfurter Flughafen begrüßte man ihn mit Blumen. Seine erste Arbeitsstelle bekam er bei einer hessischen Baufirma: „Deren Baustellen waren manchmal so klein, dass wir nicht mal eine Zementmischmaschine hatten und alles mit der Hand machen mussten.“

1968 kam er nach Westberlin: „Es war ein harter Winter mit viel Schnee, wir haben oft Schlechtwetter gemacht.“ Seine Arbeitsstelle war zunächst ein Brückenbau für die Stadtautobahn am Jakob-Kaiser-Platz. In dem Wohnheim am Kurt-Schumacher-Platz blieb er drei Monate, dann fand er in der Forster Straße 18 eine Wohnung. Sie war stark heruntergekommen, stank und hatte eine Außentoilette, außerdem wohnte im vorderen Zimmer noch eine zuckerkranke alte Frau aus der DDR.

Herr Karasahin renovierte erst einmal zusammen mit seinem Bruder. Der wegen der neuen türkischen Mieter verängstigten Nachbarin erklärte er: „Ich bin auch ein Mensch, habe auch eine Mutter. Du kannst nicht sagen, die Türken haben alle ein Messer. Hab also keine Angst!“ Seiner kranken Mitbewohnerin half er beim Einkaufen, außerdem brachte er sie mehrmals ins Krankenhaus, wo er und sein Bruder sie auch mit Blumen besuchten. Ein nervenkranker Mitpatient im selben Zimmer meinte: „Ich spring noch aus dem Fenster – ich habe sieben Kinder, bekomme aber nie Besuch, und diese Frau ist allein, wird jedoch laufend von Türken besucht.“

Die Forster Straße war Anfang der Siebzigerjahre eine dunkle, heruntergekommene Straße: Auf der rechten Seite – zwischen Reichenberger und Paul-Lincke-Ufer – wohnten Ausländer und auf der linken Deutsche: zumeist solche, die aus alkoholischen und/oder polizeilichen Gründen den Absprung nach Westdeutschland nicht geschafft hatten. Ende der Siebzigerjahre fing die Stadt an, die Häuser langsam zu entmieten. Die Forster Straße 17 und 16 wurden daraufhin besetzt: „Meine ältere Schwester ist dann da mit eingezogen. In der 17 hatte noch Herr Baumgart ein Fotogeschäft. Er hat alle Bilder von den Hochzeiten meiner Kinder gemacht.“

1970 ließ Feti Karasahin seine Frau Ipek nachkommen. Drei ihrer Kinder, die Tochter Birgül und die Söhne Ismail und Ali, blieben erst mal in der Türkei – bei Verwandten. 1973 wurde ihre Tochter Sengül in Berlin geboren,1975 der Sohn Bülent – im Urbankrankenhaus. Kurz danach holten die Eltern Ismail und Ali nach Berlin. Mit ihnen gab es Schulprobleme: Herr Karasahin hatte den Schulsenat gebeten, ihnen Schulplätze zur Verfügung zu stellen, aber nur Ismail bekam einen, Ali nicht: „Er musste zu Hause bleiben und hat geweint. Wir bekamen zu hören, dass die Türken ihre Kinder nicht zur Schule schicken – und sollten dafür Strafe zahlen. Da habe ich dem Minister für Erziehung in Ankara geschrieben. Eine Woche später hatte Ali einen Schulplatz – in Istanbul.“

Ali blieb bis zum Abitur 1986 in Istanbul, dann kam er nach Berlin, um zu studieren. Sein Vater hatte 1982 aufgehört zu arbeiten und war Frührentner geworden, nachdem er sich dreimal einen Leistenbruch zugezogen hatte – zuletzt auf einer Baustelle in der Spichernstraße: „Im Sommer haben wir wie die Ochsen gearbeitet und geschwitzt. Ein Kasten Bier für vier Mann, der war in einer Stunde leer.“ Seine Frau Ipek arbeitete noch bis 1984 – bei bei DeTeWe in Kreuzberg. Es war eine schwere Arbeit – und außerdem giftig: „Als sie nach 14 Jahren, 1984, dort aufhörte, hatte sie chronisches Asthma.“

Seitdem pflegt Herr Karasahin in seinem Garten die Blumen und Obstbäume und geht in Antalya im Sommer täglich schwimmen. Seine Rente ist so niedrig, dass er z. B. keinen Krankenhausaufenthalt davon bezahlen könnte: In den letzten 18 Jahren war er deswegen nicht mehr beim Arzt. Seine Frau muss sich jedoch regelmäßig behandeln lassen. Dazu fliegt sie nach Berlin. Obwohl das Klima in der Türkei für sie besser ist als in Deutschland, musste sie anfangs wegen ihrer Krankheit, deren Behandlung sehr teuer ist, in Berlin bleiben. Anfangs hat Herr Karasahin deshalb in Istanbul alleine gelebt. „Für ein dreimonatiges Einreisevisum muss ich jedesmal 50 Euro zahlen und zweimal anderthalb Tage vor dem Konsulat warten. Seit 1985 bin ich nur fünfmal hier gewesen, meine Frau kommt aber jedes Jahr. Mit ihrer deutschen Staatsangehörigkeit ist es einfacher“, sagt er.

Ihre Kinder sind inzwischen verheiratet, bis auf Sengül und Bülent. Die älteste Tochter Birgül ist Kindergärtnerin geworden, Sengül Technische Assistentin in Metallografie, und der älteste Sohn Ismail hat Restaurantfachmann gelernt. Bülent und Ali haben studiert: der eine Wirtschafts- und der andere Ingenieurwissenschaft. Bülent arbeitet jetzt als Unternehmensberater und Ali betreibt ein Café. „Es war immer mein größtes Ziel, dass unsere fünf Kinder eine anständige Ausbildung bekommen. Und das haben wir auch geschafft“, sagt Herr Karasahin.

„Ob es mir in Berlin oder in Istanbul besser gefällt? Die Menschen sind überall gut. Nur das Kapital hetzt sie aufeinander. Ich bin Alevit. Für die Türkei ist die alevitische Kultur sehr wichtig: Ohne sie gäbe es dort weder Touristen noch Alkohol. In Berlin gibt es erst seit 1990 einen alevitischen Kulturverein. Sie haben seit einigen Jahren ein eigenes Zentrum in der Kreuzberger Waldemarstraße – von den Zeugen Jehovas übernommen. Ich war auch schon ein paar Mal da, obwohl wir in unserer Familie alle nicht gläubig sind. Die Wohnung in der Forster Straße 18 hat mein Sohn Ismail übernommen, da wohn ich nun auch, jedes Mal, wenn ich in Berlin bin. Abends sitz ich dann im Café meines Sohnes Ali und trinke einen Tee mit Honig.“

Bülent ist – ebenso wie die anderen Söhne und Töchter – dem Vater dankbar dafür, dass er allen Kindern eine Ausbildung ermöglichte: „Dieser einfache Mann aus Ostanatolien und ohne Bildung hat dafür sein ganzes Leben lang geschuftet. Er könnte stolz auf uns sein, zeigt seine Gefühle jedoch nicht, aber wir Kinder wissen, dass er uns in seinem Herzen trägt.“