piwik no script img

Archiv-Artikel

Antizyklischer Gründergeist

Der Münchner Verlag Blumenbar fürchtet das Wachstum, nicht das Risiko. Der erste und einzige Autor des Kleinstunternehmens heißt F X Karl und hat den Roman „Memomat“ geschrieben. Darin geht es um die Liebe zu Vera, die in Hass umschlägt, und um eine traurige Reise durch Ostdeutschland

von SEBASTIAN DOMSCH

Optimisten sprechen in diesen rezessiven Zeiten von der Krise als Chance. Realisten setzen dem bisweilen entgegen, dass Wachstum auch ein Risiko sein kann. Wolfgang Farkas und Lars Birken-Bertsch sind aus diesem Grund wohl als Realisten anzusehen – obwohl sie im vergangenen Krisenjahr einen Verlag gegründet haben. Den Risikofaktor Wachstum halten sie nämlich klein.

Es ist eine kleine, aber feine Erfolgsgeschichte. Sie fängt an mit einer Reihe von improvisierten Partys im erweiterten Freundeskreis der beiden in ihrer Wohnung in der Blumenstraße in München, bei denen literarische Lesungen mit DJ-Musik und Barbetrieb vermischt werden. Die Veranstaltungen setzen sich dezidiert von den Poetry Slams ab, die zu dieser Zeit gerade in der Stadt institutionalisiert werden: „Stell dir vor, du kommst am Abend auf eine Party, und es ist erst einmal still.“ Zuerst wurde gelesen, dann Musik aufgelegt, das war alles. Die sonst bei Lesungen übliche und nicht selten peinliche Fragestunde für das Publikum ist abgeschafft. Wer noch etwas wissen will, der muss sich eben zum Autor oder zur Autorin an die Bar vorkämpfen.

Das Konzept wurde unter dem Namen Blumenbar in München zum Geheimtipp, und so dauerte es nicht lange, bis die Privatwohnung aus allen Nähten platzte. Also zog die Blumenbar hinaus in die Stadt, um die Grenzen zwischen dem innenstädtischen Hoheitsgebiet der literarischen und sonstigen Hochkultur und der ewigen Party im Osten der Stadt – Gott hab sie selig – aufzuweichen. In Cafés und Bars wurden fortan Texte und Musik unter ein immer größeres Publikum gebracht. Die überschaubare Münchner Szene bot dafür einen idealen Nährboden: Im schneller getakteten Berlin wäre das Konzept der Blumenbar – Literatur im Club-Kontext – wohl recht schnell als selbstverständlich abgenickt worden. In München findet man es eben cool – und schätzt den erweiterten Familiencharakter des Interessentenkreises.

Als im Sommer 2001 eine Lesung mit etwa 350 Menschen stattfand, stellte sich bei den Veranstaltern eine gewisse Müdigkeit über den Erfolg ein. Groß war man geworden und drohte zu wachsen. Die Konsequenz war der Schritt in ein neues, unbekanntes Terrain. Nach der Wohnzimmerlesungsparty kam der Kleinstverlag.

Wolfgang Farkas ist sich darüber im Klaren, dass er sich damit, milde gesagt, antizyklisch verhält, doch er sieht vor allem seinen Vorteil: „Die großen Verlage kann man mittlerweile kaum noch an einem Profil festmachen.“ Die Blumenbar dagegen ist bereits ein Label, sie steht für Literatur als Lebensgefühl. Was für ein Lebensgefühl das genau ist, soll sich erst noch formen.

Vielleicht dürfen daran ja die Freunde des Verlags mitarbeiten. Denn während andere sich gerade an der Börse in Luft auflösen, hat die Blumenbar einen Förderverein. Für 50 Euro ist man mit dabei und erhält ein handsigniertes und handverpacktes Exemplar des ersten und bisher einzigen erschienenen Buchs sowie einen blumenförmigen Anhänger. Der gewährt freien Eintritt bei allen Veranstaltungen, die es natürlich weiterhin gibt, in der nächsten Zeit im festen Veranstaltungsort einer gleich neben dem Verlag gelegenen Kongresshalle im 50er-Jahre-Stil.

F X Karl heißt der erste Autor des Verlages. Er hat selbst in der Blumenstraße gewohnt und auf zahlreichen Lesungen aus seinem work in progress vorgetragen. Der Roman „Memomat“ besteht aus den Notizen eines namenlosen Erzählers, der versucht, seinen Schmerz über die missglückte Liebe zu Vera durch Erinnerungsarbeit zu überwinden. Zu diesem Zweck beschäftigt er einen Sekretär. Der ist jedoch – als eine Art würdiger Nachfolger von Herman Melvilles Bartelby – eine enigmatische Figur, die dem Erzähler mehr Arbeit macht, als sie ihm abnimmt.

Großen Raum nimmt in den Erinnerungsprotokollen die Beschreibung einer Reise mit Vera ins Ostdeutschland der unmittelbaren Wendezeit ein, im geliehenen Audi und mit dem Verzeichnis der Privatquartiere auf dem Rücksitz. Hier überlagert sich die Geschichte einer Liebe, die in Hass umschlägt, mit hellsichtigen und bösen Kommentaren zum gerade in den Kapitalismus heimgeholten Teil Deutschlands. So stellt sich dem Erzähler im Rückblick die Reise als Aneinanderreihung von Gedenkstätten des nationalsozialistischen Terrors dar, unterbrochen von Gasthäusern, die tatsächlich noch „Zum Schwarzen Adler“ heißen: „Beim nächsten KZ halten wir.“

F X Karl ist nicht nur der erste, sondern bisher auch der einzige Autor des Verlages. Farkas und Birken-Bertsch wollen sich ihr Wachstum nicht aufdrängen lassen. Einen neuen Titel gibt es nicht. Erst einmal. So sind sie einer der ganz wenigen Verlage, die in diesem Frühjahr keine Schuld an der Überproduktion tragen.