: Die Symbolik-Industrie
DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
Was ist mit unseren Eliten, wenn diese nicht mehr in der Lage sind, kompetente und sachgerechte Verantwortung ohne einen Big Brother zu übernehmen? Leserbrief in der Frankfurter Rundschau, 27. 1. 04
Bund, Länder und Kommunen geben jährlich mehr als eine Milliarde Euro für externe Beratungsunternehmen aus. Über vier Millionen kassierte allein die prominente Agentur Roland Berger innerhalb von drei Monaten, als es galt, erhebliche Teile der Bundeswehr, noch unter Verteidigungsminister Rudolf Scharping, mittels Outsourcing zu privatisieren. „Integriertes Reformmanagement“ nannte sich das und ging ziemlich schief, obwohl noch einmal knapp zehn Millionen in die Beratung der extra gegründeten Outsourcing-Gesellschaft gesteckt wurden. Anstatt dem Wuchern der Bürokratie ein Ende zu setzen, generiert Beratung erst einmal neue bürokratische Strukturen – und mit ihnen Bürokraten, die wiederum externer Beratung bedürfen. Scharpings Nachfolger Peter Struck setzte dem Integrierten Reformmanagement ein Ende – aber nur, um ein „Kompetenzzentrum“ zu schaffen, das, wen wundert’s, dringend auf den Rat der Firma Berger angewiesen war.
Guter Rat ist teuer, und Berater genießen traditionell keinen besonders guten Ruf. Fürstenhöfe, Staatskanzleien, Ministerialbürokratien, aber auch aufgeklärte Alleinherrscher und blutige Tyrannen kamen nicht ohne externe Beratung aus. Vermutlich gilt die Formel: je höher die Beratungsresistenz, desto größer die Bereitschaft, die Groschen der Untertanen fürs Consulting zu verpulvern. Im Volksmund sind die Herrscher in aller Regel „schlecht beraten“; von falschen Freunden umgeben, bewirken sie genau das Gegenteil dessen, was das Wohl des Volkes erheischt. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs setzte sich in dumpfen Köpfen die Wahnvorstellung vom makellosen Führer und seinen bösen Beratern fest.
Auch in der Literatur kommen die Vorläufer von McKinsey und Berger schlecht weg. In Königsdramen und Schicksalstragödien schleichen sie als Intriganten und falsche Einflüsterer durch die düsteren Hallen und beschleunigen als Drahtzieher im Hintergrund das schaurige Finale. Shakespeare lässt den edlen Othello an den Ränken seines Beraters Jago zerbrechen, Schiller den Feldherrn Wallenstein an den Berechnungen seines Astrologen Seni. Das Feudalzeitalter mit seinem Geschmeiß an Höflingen und hoch dotierten Schmarotzern hat das Beratungsgewerbe in Verruf gebracht. Den einzigen Fürstenberater, der den Namen verdient hat, Niccolo Machiavelli, haben die Aufklärer zum Satan der ganzen absolutistischen Epoche erklärt – und das, obwohl er mit seinem „Principe“ keine Rechtfertigung, sondern eine brillante Analyse des Feudalsystems geliefert hatte. Ein Kanzlerberater, der mit dem unbestechlichen Scharfsinn Machiavellis unsere Verwaltungsbürokratien im Geflecht zwischen Politik und Wirtschaft durchforsten würde, ist leider nicht in Sicht.
Die Mühen einer grundlegenden Systemanalyse ersetzen unsere Beratungsunternehmen durch Fragebögen, mit denen sie häufig frisch gebackene Absolventen der Betriebswirtschaft in die reformbedürftigen Institutionen schicken. Außer ihrem Laptop und ihrer Frisur bringen diese Herrchen vor allem den Zeitgeist mit, der da lautet: Alles, was noch Reste staatlicher oder kommunaler, also gesellschaftlicher, Verantwortung aufweist, ist in Grund und Boden zu privatisieren. Zurzeit herrscht große Aufregung darüber, dass in der Regel dicke Rechnungen die Folge sind, für die der Steuerzahler aufzukommen hat. Diese Empörung ist verständlich, aber sie greift zu kurz. Die Beratungsindustrie spielt schließlich mit im globalen Powerplay. Wer im Beratungsgeschäft die Nase vorn hat, verfügt auch über geeignete Mittel, sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten. Er muss Erfolge produzieren, aber auch Fehlerquoten, die ihm weitere Beratungsverträge sichern. So kommt es, dass der Staat und seine Berater – siehe den täglichen Kleinkrieg in leviathanartigen Gebilden wie der Bundesagentur für Arbeit – permanent auf Kriegsfuß miteinander stehen und doch auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen sind. Nicht der Erfolg, sondern die Fehlerquote entscheidet darüber, dass dieses Geschäft auf Gegenseitigkeit aufrecht erhalten bleibt.
Darum ist es auch gar nicht erforderlich, dass sich die jungen Herrchen mit den gestylten Frisuren im Gestrüpp der Betriebe, die sie auf Trab bringen sollen, zurechtfinden – oder sich gar auf die Menschen einlassen, die den Verwaltungsdschungel mit seinen uralten Gewohnheiten und bürokratischen Verschlingungen repräsentieren. Sie teilen einfach ihre Fragebögen aus und führen kurzatmige Interviews, die sie hochstaplerisch „Evaluationsgespräche“ nennen. Dann hämmern sie ihre Schlussfolgerungen in den Laptop. Die sind ziemlich einfach, und sie lassen sich auf immergleiche Formeln bringen: Der jeweilige Betrieb soll seine Schwachstellen abbauen und seine „Stärken stärken“ (ein Jargon, der inzwischen auch die Universitäten erreicht hat); er soll, was er aus den erhofften Einsparungen erwirtschaftet, in „expandierende Wirtschaftszweige“ investieren; er soll sich auf diesem Wege selbst privatisieren – und er soll Personal entlassen: dies vor allem, denn ohne wachsende Arbeitslosigkeit und soziale Unsicherheit hätte auch das ganze Beratungsgeschäft keine Zukunft. Zumindest, solange unsere jeweilige Regierung allen Ernstes erklärt, ihr Ziel sei die Wiedererlangung der Vollbeschäftigung.
Wozu der ganze Zirkus? Die Antwort ist einfach: Die Politiker in Bund, Ländern und Gemeinden kennen sich wirklich nicht mehr aus. Sie verlieren die Übersicht über den Gang der Dinge, der sie ohnehin nicht besonders interessiert, soweit er über den jeweiligen Tellerrand – und das ist in der Regel das Datum der nächsten Gemeinderats-, Landtags- oder Bundestagswahl – hinausgeht und die Verhältnisse im Nachbardorf oder in Bangladesh betreffen könnte. Um wiedergewählt zu werden, bedarf es der „Darstellung“ der eigenen Erfolge und der richtigen „Aufstellung“ der eigenen Regimenter. „Darstellung“ und „Aufstellung“ sind Zentralbegriffe des politischen Jargons geworden; sie signalisieren, dass die Politik sich längst aufgegeben und ihre Ethik ans Marketing verraten hat. Für Darstellung und Aufstellung sind Berater verantwortlich, die etwas vom Styling verstehen und davon, wie man eine Sache am besten „verkauft“ – egal, ob es um Sozialabbau geht, um die „Verschlankung“ von Ausbildung und Forschung oder um den Ärger mit den drei Berliner Opern. „Wozu haben wir überhaupt noch eigene Verwaltungen?“, fragt sich der Berliner FDP-Abgeordnete Martin Lindner. Er hat Recht: Wir können die Verwaltungsapparate abschaffen und in Bund, Ländern und Gemeinden moderate Despoten installieren, die sich das Regierungsgeschäft von Berger und McKinsey abnehmen lassen.
Der Kern des Problems: Politik agiert nicht mehr politisch, sondern symbolisch. Die Symbolik ist heute aber ein Industriezweig, der seine eigenen, knallharten ökonomischen Interessen verfolgt. Die Berater gieren keineswegs nach politischer Macht. Aber es könnte ein Vakuum entstehen, das ihnen mehr Macht zuspielt, als für eine Demokratie verträglich ist.