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Archiv-Artikel

Schöne Wasserleiche

Kein Weg, über die Ufer zu treten: In seinem Film „The Hours“ ordnet Stephen Daldry die Erzählstränge wie ein ängstlicher Wasserbauer

von CRISTINA NORD

„Das Bewusstsein“, notierte Virginia Woolf 1924, „empfängt eine Myriade von Eindrücken – triviale, fantastische, vorüberhuschende oder solche, die sich mit stählernem Griffel eingraben. Von allen Seiten kommen sie, ein unaufhörlicher Schauer von ungezählten Atomen.“ Die literarische Antwort auf die Flut der Reize fand sich in der Technik des stream of consciousness. Bis an die Schwelle zum 20. Jahrhundert mochten zuverlässige Erzähler die Welt im Zaum halten. Dann jedoch brachen sich fragmentierte Wahrnehmung und Eindrucksfülle literarisch Bahn. Dass dabei das Wasser zu einem metaphorischen Gefährten der Schreibweise wurde, ist kein Zufall. Die Bewegungen eines Gewässers, sei es eines Flusses, sei es eines Ozeans, lieferten ein adäquates Bild für Romane und Erzählungen, in denen Motive oder Figuren mal hier, mal dort auftauchten und eine Replik wie Treibgut sein konnte – ausgesandt von einem viele Seiten zuvor geführten Dialog.

Es wäre schön gewesen, hätte Stephen Daldry dieses Erzählverfahren in „The Hours“ mehr als nur vordergründig berücksichtigt. Zwar handelt es sich nicht um die Verfilmung eines Buches von Virginia Woolf. Der Regisseur und sein Drehbuchautor David Hare beziehen sich vielmehr auf den 1998 erschienenen Roman „The Hours“ von Michael Cunningham. Doch Woolf und ihr Roman „Mrs. Dalloway“ sind darin – und damit auch in der Verfilmung – so gegenwärtig, dass es Daldry gut zu Gesicht gestanden hätte, hätte er die Techniken des Films mit größerer Sorgfalt dem literarischen Programm Woolfs angepasst.

Daldry aber begnügt sich mit dem Naheliegenden: In drei Erzählsträngen lässt er drei Zeitebenen und die Schicksale dreier Frauen zusammenfließen. Wenn im ersten Strang ein Blumenstrauß auftaucht, weiß man, dass es kaum zwei Schnitte brauchen wird, bis man auch im dritten Strang einen Blumenstrauß sieht. Und wenn eine Figur im zweiten Strang überraschend Besuch bekommt, muss niemand lange warten, bis auch im dritten Strang ein unangemeldeter Gast vor der Tür steht. Das verleiht „The Hours“ ein gewisses Maß an Vorhersehbarkeit. Von einer Technik, die Motive und Assoziationsketten vorbeiziehen lässt wie Schwärme schillernder Fische, bleibt nicht mehr als ein stumpfer Reflex.

Die erste der drei Unglücklichen ist Woolf selbst (für den Mut zur Nasenprothese erhielt die Darstellerin Nicole Kidman am Sonntag einen Oscar). Sie sucht nach dem Anfangssatz für „Mrs. Dalloway“. Wenn Daldry zeigen will, wie das Schreiben stockt, sieht man, wie sich die Hand der Figur für keine der Schreibfedern entscheiden kann. Was für ein Zittern und Zaudern das ist! Man möchte meinen, Woolf habe gearbeitet, indem sie alle Reflexion von sich wies und stattdessen ihren Eingebungen folgte. Es liegt hierin ein großes Problem nicht nur von „The Hours“, sondern des Erzählkinos insgesamt: Befriedigende Bilder für künstlerische und intellektuelle Tätigkeit werden kaum je geboten.

Was Daldry stattdessen findet, sind Bilder für ein diffuses Leiden am Sein: ein zeitloses Begleitsymptom von Weiblichkeit. Damit schlägt er den sentimentalen Bogen von Woolf zu Laura Brown (Julianne Moore), der Hausfrau im Suburbia der 50er-Jahre, und zu Clarissa Vaughan (Meryl Streep), der Lektorin im New York der Jetztzeit. Wasser kommt oft ins Spiel, aber nicht als Metapher einer literarischen Technik, sondern als dem Weiblichen und seinen Verwerfungen verwandtes Element. Zu Beginn des Filmes treibt Woolf leblos in einem Fluss, als sei sie 1923, zum Zeitpunkt der Filmhandlung, gestorben. Tatsächlich verstrichen zwischen der Arbeit an „Mrs. Dalloway“ und dem Tod der Autorin im River Ouse bald zwei Jahrzehnte, ein Zeitraum, in dem so herausragende Romane entstanden wie „Die Wellen“ oder „Die Jahre“. Daldry ist das gleichgültig. Seine schöne Wasserleiche hat er bekommen.

„The Hours“. Regie: Stephen Daldry. Mit Nicole Kidman, Julianne Moore, Meryl Streep u. a. USA 2002, 114 Min.