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Archiv-Artikel

Pfad zum Pils

Navigationssysteme für Autos sollen intelligenter werden – mit ungeahnten Folgen

„Erst war ich auf 180, aber dann wurde es doch noch ein netter Abend“, Klaus Jäger lächelt in sich hinein: Auf der Suche nach guter Unterhaltung verließ sich der 43-Jährige auf das Navigationssystem seines Autos. Ein Fehler. Denn ebendieses System, mit einem Mikrofon bestückt und sprachgesteuert, lotste Jäger nicht wie gewünscht in die nächstgelegene Video-, sondern in eine Vinothek. „So ein Riesling ist mal was anderes, sonst trink ich Pils“, freut sich Schäfer dennoch im Nachhinein über die neue Erfahrung.

Dem Diplom-Ingenieur Peter Bittner ist das Ganze eher peinlich. Aus gutem Grund. Bittner zeichnet bei der Firma Blaupunkt verantwortlich für die Entwicklung von satellitengestützten Navigationssystemen. Und die stehen vor einem enormen Qualitätssprung. Bislang war es üblich, schlicht den gewünschten Ort und die Straße einzugeben. „Jetzt gehen wir einen Schritt weiter“, sagt Bittner: „Intelligente“ Systeme sollen ihren Nutzer an Punkte führen, die für ihn interessant, nützlich, anregend sein könnten. Damit das System funktioniert, müssen die Nutzer künftig vor Inbetriebnahme ihres persönlichen „Pfadfinders“ einen umfassenden Fragenkatalog beantworten. Gefragt wird unter anderem nach Geschlecht, Alter, Beruf und Zugangs-PIN fürs Bankkonto – „das ist nicht ungewöhnlich, wenn ein Dienstleister einen Kunden wirklich von Grund auf kennen lernen und ihn individuell bedienen möchte“, zerstreut Bittner alle Bedenken in puncto Datensicherheit.

Kernstück des Systems ist die Erfassung von Hobbys, Vorlieben und Gewohnheiten des Systemnutzers. Über eine Tastatur – weit weniger anfällig für Missverständnisse als eine Erfassung per Mikrofon – können Schlüsselbegriffe eingegeben werden. Wer sich also für Filme interessiert, der kommt – so er das Wort „Film“ eingibt – direkt zu einem Kino. Vielleicht aber auch zu einem Fotoladen. Bittner: „Die feinen Differenzierungen in den Begrifflichkeiten bereiten uns noch Kopfzerbrechen.“ Marktreife ist deshalb längst nicht erreicht, die Tücken der intelligenten Navigation stecken eben im Detail. Nach einem vermeintlichen Blitzeinbruch in ein Juweliergeschäft in Hessen, der scheinbar nach der altbekannten Gangster-Methode „Rein mit dem Auto ins Panzerglasschaufenster, Schmuckauslagen abräumen und weg“ ablief, stellte sich heraus: Der Auto-Navigator hatte den Fahrer geradewegs in das Geschäft krachen lassen; der 79-jährige, kurzsichtige Mann hatte nach einem Ring gesucht, präzise gesagt: nach einem nahe gelegenen Autobahnring.

Als Clou seiner elektronischen Schöpfung denkt Blaupunkt-Ingenieur Bittner an Routen- und Zielvorgaben, die das System allein entwickelt – ausschließlich auf der Grundlage der einmal erfassten Nutzerdaten. Auf das umständliche Eintippen von Suchbegriffen könnte dann verzichtet werden. Beispiel: Wer ein bestimmtes Monatseinkommen nicht erreicht und sich auf die Düsseldorfer Luxusmeile „Kö“ zu verirren droht, wird sanft, aber bestimmt zur nächsten Aldi-Filiale „umgeleitet“.

Plötzlich klingelt Bittners Handy: Testfahrer Jäger ist dran. Und er ist sauer. Nachdem er in den vergangenen Wochen mehrmals in Luxemburg war, wurde sein Navigationssystem misstrauisch, überprüfte sein Konto und verpfiff ihn beim Finanzamt. ANDREAS MILK