: Big-Brother-Momente vor Bagdad
Eindrücke nach dem Tag X: Auf den Friedensdemos in Berlin werden Evergreens vorgetragen, das Fernsehen bringtöbszön-schöne Webcamaufnahmen aus der Wüste, und manche fürchten, von diesen Bildern infiziert zu werden
von DETLEF KUHLBRODT
Am Anfang hatte es im U-Bahn-Fernsehen „ein schwarzes Kreuz für den ersten getöteten Zivilisten im Kampf um Öl“ gegeben, und viele große und kleine Demos veränderten das Straßenbild. Diese Demonstrationen seien ganz anders gewesen als die Antikriegsdemonstrationen der 90er- oder 80er-Jahre, hieß es, mit so einem Unterton, als wären die Demonstranten vergangener Jahre verblendet gewesen. Gern wurde hervorgehoben, dass diese oder jene denunziatorisch beschriebenen Gruppen diesmal nicht dabei gewesen seien.
So wurde seit 1968 aber noch jede neue Protestbewegung beschrieben – vermutlich meinten Journalisten, die 1991 gegen den Golfkrieg protestierten und jetzt nicht mehr wussten, weshalb, nur sich selbst. Denn eigentlich sieht ja alles ähnlich aus: Die Redner kommen aus Gewerkschaften, Kirchen, linken Gruppen oder aus den Ländern der Krieg führenden Parteien – und das kulturelle Protestprogramm besteht aus Evergreens: Am Tag X las eine Schauspielerin ein Gedicht von Erich Fried, in dem es darum ging, dass jede Sekunde ein kleiner Mensch verhungert. Eine andere schrie, als hänge sie am Spieß, das 1920 veröffentlichte „Kriegslied“ von Erich Mühsam: „So lebt der edle Kriegerstand. / Der Schweiß tropft in den Grabenrand, / das Blut tropft in den Straßenrand, / mit Gott, mit Gott, mit Gott, / mit Gott für König und Vaterland.“ Und am Ende immer das unvermeidliche „Imagine“.
Es gibt kaum Plakate, die sich gegen Blair und die britische Kriegsbeteiligung richten. Vor allem geht es gegen Bush, wobei das Double-U stets mit größtmöglicher Verachtung ausgesprochen wird. Die vorherrschenden Slogans kommen aus England, und kaum jemand scheint zu merken, dass der schöne Slogan „Not in my name“ hierzulande wenig Sinn macht und möglicherweise das Gegenteil bedeutet.
Bei der ersten Großdemo gegen den Irakkrieg im September in London waren viel mehr Muslime, die Hälfte der Reden hatte mit „Allah ist groß“ begonnen, die Palästinafrage war präsenter, und wir hatten skandiert: „One, two, three, four – we don’t want your bloody war; five, six, seven, eight, we just want to masturbate“ und Fussball gespielt zwischen den Demonstranten.
Am Tag X machten die Menschen einen großen Bogen um einen Mann, der ein Schild hochhielt, auf dem stand „Bush und Scharon ab nach Den Haag“, und später waren Kontrolleure in der U-Bahn, ich hatte keinen Fahrschein, und ein junger Araber steckte mir seinen zu. Die Kontrolleure sahen das, murrten, aber ließen mich laufen, wohl auch wegen Krieg.
Viele befürchten, von den Bildern infiziert zu werden. Man selber guckte die ganze Zeit Fernsehen. Als freier Autor kann man das ja. Das Fernsehen ist eine Art Zwang, der zum Selbstzwang wird; sich das alles anzugucken, die Bilder auf allen Kanälen, wie das Kaninchen vor der Schlange sitzt man vor dem Fernseher, als hätte es irgendeinen Einfluss auf das Geschehen, wenn man sich das alles anschauen würde. Man setzt sich dem Fernsehen aus wie einer ganz und gar nicht hedonistischen Droge. Irgendwie hat das etwas Asketisches. Vielleicht hofft man darauf, dass sich die Bilder und Informationen, denen man sich aussetzt, im Inneren ordnen. Man könnte natürlich auch zur PDS-Mahnwache bei der amerikanischen Botschaft gehen, denn der Fernseher vor der Mahnwache der demokratischen Sozialisten ist größer als der Fernseher, in den man zu Hause starrt. Aber vor dem Fernseher der PDS hat die PDS die Macht, und die PDS guckt dauernd n-tv, wenn ich das richtig gesehen hab, und dazu ständig „Imagine“ und „99 Luftballons“, stellt man sich vor. Und das ist doch noch unerträglicher als Fernsehen.
Auf einem Plakat bei der Mahnwache stand „Kinderaugen weinen, wenn der Kapitalismus siegt“, und meine Mutter rief an und sagte wie immer mit leiser Stimme, dass sie ja wisse, was das ist, KRIEG. Sie hatte als Kind die Bombennächte miterlebt, war vertrieben worden und konnte fernsehguckend nicht den distanzierten Blick dessen einnehmen, der auf die Unterschiede verwies, sondern fühlte sich zurückversetzt in die Zeit, als sie selbst im Keller war, Bomben fielen und sie dann verschütt ging.
Ein distanzierter Blick ist schwierig, wenn die Bilder etwas anderes suggerieren als das, was wohl in Wirklichkeit geschieht. Bei der „Shock & Awe“-Kampagne zum Beispiel, hatte man das Gefühl, dass Bagdad nun völlig zerstört werden würde. Es war aber seltsam, wenn man so aufgewühlt zwischen den Kanälen herumzappte. Alle zeigten das Gleiche, aber die Bilder wirkten unterschiedlich. Die Explosionen auf CNN waren mindestens dreimal so laut wie auf den anderen Kanälen. Das machte Effekt; das steigerte den Schrecken, die Angst, die ohnmächtige Wut, die man auch darüber empfand, dass CNN die Bombardierungen so effektvoll inszenierte, als sollten hier Gegenbilder zu den Bildern der zusammenbrechenden Twin Towers geschaffen werden.
Man fühlte sich angegriffen von diesen obszön-schönen Bildern, die sagen zu wollen schienen, wir kriegen jeden, an jedem Ort, der sich uns in den Weg stellt. Dass nur wenige umkamen, machte es nicht besser. Die Botschaft der „Kampagne“ schien zu sein: Wir haben die Macht, euch zu töten, niemand kann uns daran hindern, aber wir lassen euch leben. Die Bilder machten mich paranoid, und ich besuchte dann einen befreundeten Kreuzberger Expunker, der früher in einer Heavy-Metal-Band gespielt hatte.
Nachdem es im Fernsehen in Bagdad so laut gewesen war, kam es einem draußen in Kreuzberg bedrückend still vor. Ich dachte dauernd, ich rauch jetzt keine Camels mehr, gerade weil ich seit mehr als zwanzig Jahren Camel ohne rauche. Ich erwog also ein Gegenopfer.
A. hatte natürlich auch seinen Fernseher laufen und war sehr wütend. Für ihn war der Krieg gegen den Irak reiner Imperialismus und Bush ein Verbrecher. Er war auf keiner Demo gewesen, wegen Faulheit ein bisschen und weil das unsinnig wäre. Man müsse Bush und Blair einfach umbringen. Er verstand nicht, wieso das bislang nicht geschehen ist, wieso zum Beispiel keiner der Journalisten auf den Pressekonferenzen Bush oder Blair einfach erschießt. Für jeden toten US-Soldaten wollte er einen Joint rauchen. Leute, die eine Uniform anziehen, seien selber schuld. Keine Ahnung, ob er das wirklich durchgezogen hat. Wir stellten den Fernseher leise und spielten wie immer ein paar Partien „Bloodball“, eine Art Brettspielfootballsimulation mit Fantasyfiguren und einem komplizierten Regelwerk. Später erzählte er, dass er oft E-Mails an die SPD schreibe, und war stoz darauf, dass einige seiner radikalen Mails beantwortet worden waren.
In den Nächten träumt man komisch, und der Tagesrhythmus geht durcheinander. Eine Freundin träumte, sie sei der Oberbefehlshaber. Es war unheimlich stressig, einerseits den Oberbefehl zu führen und andererseits ständig Pressekonferenzen geben zu müssen. Irgendwann hätte sie dann Saddam ermordet gehabt, aber der Krieg sei trotzdem weitergegangen.
Manchmal sitzt man schon um fünf Uhr morgens vor dem Fernseher und guckt gebannt auf Webcambilder aus der Wüste – „of an army moving forward“. Der Kommentator sagt, es handle sich um Bilder, die man zuvor noch nie gesehen hätte. (Aber jeder Tag, jeder neue Film besteht aus Bildern, die man zuvor noch nie gesehen hat.) Der eingebettete Journalist hatte vermutlich eine Spycam an seinem Helm befestigt. Die Wüste wackelte mit ein bisschen Horizont. Selten nur mal ein Beduinenzelt. Schöne Bilder. Sehr arty. Es geht voran. Ein Big-Brother-Déjà-vu. Wie die Big-Brother-Webcam bürgt auch die Kriegsberichterstattungswebcam für eine etwas melancholische Authentizität.
Die Undeutlichkeit der Webcamaufnahmen verwies auf den Aufzeichnungsapparat, auf die unüberbrückbare Entfernung zwischen Zuschauer und dem, was er anschaut. Das LIVE-Bild der Armee, die gen Bagdad vorrückte, wie es hieß, lieferte keinerlei Informationen. Aber was für Informationen hätte man denn gern? Stundenlang nur wiederholte sich das Immergleiche; Wüste, ein wackelnder Horizont. Ab und an Splitscreen mit Gesichtern, die etwas sagten, das durchgehend unter dem Vorbehalt der Propaganda stand. Man musste aber immer hinschauen.
Stunden- und tagelang. Fast ausschließlich BBC und manchmal CNN, vielleicht um sich von dem Krieg zu distanzieren, vielleicht um das eigene Englisch zu verbessern. „Pockets of Resistance“ sei ein schönes neues Wort, sagte Kollegin Küppers. Später dann auch ständig Internet; die Live-Webcam von NTV oder „Humanshields.org“. Das weiße „Truth Justice Peace“-Logo wird blutrot, wenn man mit dem Cursor draufgeht, es gibt einen Bodycount, Bilder lachender Kinder natürlich und viele Links.
Den Zugang zur englischen Seite von al-Dschasira hätten die Amis blockiert. Immer wieder räumt man sozusagen gegenzwangsgesteuert die Möbel im Zimmer um oder rennt schnell raus, um Zeitungen und Camel-Zigaretten zu kaufen – am liebsten in dem Laden, in dem ein netter Araber arbeitet, der um die Augen rum immer so aussieht wie ein Kiffer. Vielleicht schläft er auch nur immer zu wenig.
Abends um neun gibt es auf „TV-Berlin“ die „Big Brother“-Version „Kommune“ mit Rainer Langhans und seinem Harem. Die Sendungen wurden aufgezeichnet. Niemand spricht über den Krieg. Fünf Minuten lang ist es unerträglich. Nach ein paar Tagen wäre es vielleicht interessant, aber man will das nicht sehen. „Monica Lewinsky wird eine Reality-Show beim US-Sender Fox moderieren. Wie der Sender bekannt gab, wird in der Sendung ‚Mr Personality‘ eine Kandidatin von mehreren Männern umworben, deren Aussehen verborgen bleibt“, meldet die FR.
Manchmal geht man auch raus zum Zeitunglesen. An den Bushaltestellen wird für „Big Brother – The Battle“ geworben. Die Staffel beginnt am 31. März. Zwei Gruppen leben in einem Haus; die eine Gruppe kriegt 1.000 Euro am Tag, die andere nur Wasser und Brot. Die aus der Armengruppe kämpfen darum, in die reiche Gruppe zu wechseln. Aus vielen Fenstern hängen weiße Bettlaken mit Antikriegsparolen.
Am Fenster des Kreuzberger Gebrauchtplattenladens „Platten Alberto“ kleben acht Seiten Schreibmaschinenpapier mit ausführlicher Antikriegsbegründung. Auf dem letzten Blatt sind Ernie und Bert drauf, und darunter steht: „Ernie und Bert wollen lieber schreiben als Krieg.“
In vielen arabischen Restaurants läuft die ganze Zeit al-Dschasira. Männer starren bedrückt auf den Fernseher. Vor der Mauer des Friedhofs am Mehringdamm liegt ein Haufen Hundescheiße, in den jemand eine kleine amerikanische Flagge gesteckt hat. Im Tagesspiegel stand ein Bush-Zitat: „Die Freiheit, die wir meinen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sondern Gottes Geschenk an die Menschheit.“ Manchmal hat man den Eindruck, Bush habe wieder angefangen zu trinken.