piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit dem MAN-Bus in den Krieg

Viele der freiwilligen Iraker gehören zur Minderheit der Schiiten. Sie wollte George W. Bush eigentlich befreien. Jetzt kämpfen sie gegen ihn

aus Amman KARIM EL-GAWHARY

Der Kampf gegen die amerikanischen Invasoren beginnt um acht Uhr morgens in einem Café an einer Busstation im jordanischen Amman. Hajj Abu Ali ist bereit. Mit zwei Plastiktüten und einer Reisetasche zieht er freiwillig in den Krieg. Bevor er allerdings die anstrengende Reise ins zwölf Stunden entfernte Bagdad aufnimmt, trinkt er noch ein Gläschen rabenschwarzen Tee.

Hajj Abu Ali will sich zur irakischen Al-Quds-Miliz melden, um zunächst sein Land gegen die amerikanischen Eindringlinge zu verteidigen und dann Jerusalem zu befreien, erklärt er. Er sieht nicht aus wie der klassische Frontkämpfer, der 51-jährige Schiit, der ursprünglich aus dem Bagdader Armenviertel Saddam City stammt und für drei Monate bei Freunden in Amman weilte. Ein paar Ärzte wollte er hier aufsuchen, damit diese seinen Diabetes unter Kontrolle bekommen.

Eigentlich ist der Vater von neun Kindern der klassische Fall eines Irakers, den US-Praäident Bush vom Joch Saddam Husseins befreien will. Doch Hajj Abu Ali schüttelt darüber nur den Kopf: „Wie kann man jemanden befreien, indem man sein Haus angreift und dann auch noch nebenbei mit Israel zusammenarbeitet. Nicht Rosen, sondern Schwerter gebühren den Amerikanern“, sagt er und rückt sich seine rote Kufiya, sein Kopftuch, zurecht.

In der Cafeteria läuft der Fernseher mit den neusten Al-Dschasira-Nachrichten aus dem Irak. Heute Morgen werden kommentarlos Bilder gezeigt von verstümmelten und blutüberströmten Kindern und einer vor Schmerzen schreiende Frau, die nach einem Bombardement von Basra in ein Krankenhaus eingeliefert wird.

Die gesamte Freiwilligencrew, die sich fertig macht, in ihren klapprigen 20 Jahre alten MAN-Bus in Richtung Bagdad zu steigen, schüttelt den Kopf. „Das sind unsere Familien“, sagt einer in stillem Entsetzen. Die Männer in dem Bus, der sich langsam füllt, sind keine Einzelfälle. Über 5.200 in ihre Heimat zurückkehrende Irakis haben die jordanischen Grenzbehörden seit Kriegsbeginn am 16. März gezählt. Allein in den ersten Tagen des Krieges hat Iraks Konsularabteilung in Amman auf die Schnelle 3.000 vorläufige Pässe ausgestellt. Selbst einige Freiwillige aus anderen arabischen Ländern sollen sich inzwischen auf den Weg zum Kampf im Irak gemacht haben.

Der Iraker Fareq Majed Hamid sitzt im Bus neben Hajj Abu Ali. Die letzten drei Monate hat er in Jordanien in einem Steinbruch gearbeitet. Obwohl er noch eine neunmonatige Aufenthaltsgenehmigung für das sichere Jordanien hat, will er jetzt in seine südirakische Heimat in der Nähe der Stadt Samawah zurück. Ein Ort, der bekannt sei für seine blutigen Kämpfe gegen die britische Kolonialarmee in den 20er-Jahren des letzten Jahrhundert, erzählt er stolz.

Der 31-Jährige will an diese Tradition anknüpfen und wird sich sofort nach seiner Ankunft in einem Freiwilligenbüro melden. „Wo immer sie mich hinschicken, werde ich hingehen und mit all meinen Mitteln gegen die Amerikaner kämpfen.“ Ein Waffe braucht er nicht, er besitzt zu Hause privat eine Kalaschnikow. Angst, sagt er, hat er auch nicht, „wenn ich sterbe, sterbe ich als Märtyrer“.

Hajj Abu Ali ist mit seinen 51 Jahren der älteste Freiwillige im Bus, der 21-jährige Hussein der Jüngste. Er stammt ebenfalls aus Samawah und hat die letzten zwei Jahren in Jordanien als Tagelöhner verbracht. „Mein Land braucht mich jetzt“, erklärt er schlicht. Auch er gibt vor, keine Angst zu haben, schließlich sei es besser ehrenvoll als im Schatten zu sterben.

„Wir verteidigen unser Land, unseren Boden und unsere Ehre“, sagt er. Den Präsidenten und das Regime erwähnt der junge Schiit dagegen nicht. Und nur ein wenig später spricht er davon, dass die Iraker niemanden gerufen hätten, um sich von Saddam Hussein befreien zu lassen. Ob er das überhaupt nicht möchte oder das Ganze lieber in die eigenen Hände nehmen will, lässt er dabei offen.

Alle Insassen des Busses sind ohne Ausnahme irakische Schiiten, also jene von Saddam Hussein vernachlässigte religiöse Volksgruppe im Irak, von der die Amerikaner geglaubt haben, sie würde sie am ehesten willkommen heißen. Doch alle im Bus sind von einem irakischen Patriotismus beseelt. Es gebe keine Unterschiede, ob Schiiten, Sunniten oder Kurden, alle seien gegen die amerikanische Invasion, wie sie nacheinander betonen.

Hajj Abu Ali fasst das in ein Bild: „Der Irak ist wie ein Zug, an dem viele verschiedene Waggons hägnen, die alle am Ende in die gleiche Station einfahren.“ Alle Mitfahrer nicken begeistert. Und dann ist da noch die Sache mit der Religion. Schon vor dem Krieg hatten zahlreiche schiitische Geistliche zum Kampf gegen die Ungläubigen aufgerufen, sollten diese es tatsächlich wagen, den Irak anzugreifen.

Hajj Abu Ali holt ein oft gefaltetes und vom vielen Ansehen leicht speckig gewordenes Papier hervor. Das sei letzten Freitag in der Moschee verteilt worden und habe letztendlich seine Entscheidung beeinflusst, sich auf den Weg nach Hause zu machen. Es sei wert, in der deutschen Zeitung in Auszügen zitiert zu werden. Es handele sich um einen Aufruf zum „heiligen Krieg“ gegen die Amerikaner, und wer nicht daran teilnehmen könne, werde aufgefordert, zumindest zu Gott zu beten und Folgendes zu wiederholen: „Möge Gott jenen Angst in die Herzen pflanzen, die gegen den Islam kämpfen. Gott wird Streit unter ihnen säen und in ihre Richtung einen starken Sandturm und Krankheiten schicken und dafür sorgen, dass sie sich gegenseitig erschießen. Möge er Qualen schicken, und möge er dafür sorgen, dass der Boden unter ihren Panzern wegbricht, dass das Meer ihre Schiffe verschlingt und Blitze ihre Flugzeuge vom Himmel holen.“

Liebevoll faltet Hajj Abu Ali das Papier wieder zusammen und lehnt sich in seinem verschlissenen Sitz zurück. „Der Sieg“, sagt er selbstbewusst „wird unser sein, schließlich kämpfen wir auf der gerechten Seite und haben Gott auf unserer Seite.“