: „Lächerlich ist hier gar nichts!“
Was geschah nach dem Bezirksligaspiel der Fußball-Senioren des jüdischen Sportvereins TuS Makkabi Berlin gegen den BSC Rehberge II? Hat „Kamerad Heinsius“ die Nerven verloren und Schiri Blüthmann tätlich angegriffen? Im Spiel soll das Wort „Judensau“ gefallen sein. Ein Sportgerichtsverfahren
von PHILIPP GESSLER
Nur Unwissende glauben, dass Fußball in Deutschland etwas mit Spaß zu tun habe. Weit vorbeigehauen! Schon ab der Bezirksliga ist Fußball unser Leben und regiert die Welt – und da hört der Spaß bekanntlich auf. Umso ernster wird die Sache mit dem runden Leder vor dem Sportgericht des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) im „Haus des Fußballs“ im Grunewald. Und überhaupt nichts mehr zu lachen gibt es beim Thema Antisemitismus.
Aber Hauptsache is aufm Platz, und dort sowie auf der Tabelle der Bezirksliga, Staffel 1, sieht es gar nicht schlecht aus für die 1. Seniorenmannschaft des TuS Makkabi Berlin. Der nach Selbstauskunft „einzige jüdische Sportverein der Stadt“ wurde 1970 gegründet und beruft sich, eingedenk des Vorläufervereins „Bar Kochba“, auf eine über hunderjährige Tradition. Das aber, sagen die Makkabi-Senioren, alle über 32 Jahre alt, sei ihnen in ihrer Vereinsgeschichte noch nie passiert: eine vorläufige Sperre für zwei Spiele wegen des Verdachts, den Schiedsrichter am 2. März im Stadion Wilmersdorf tätlich angegriffen zu haben. Dort trainiert Makkabi, wenn Flutlicht vonnöten ist. Sonst übt man auf dem Maifeld. Ausgerechnet.
Was aber war nun passiert an diesem unseligen Tag Anfang März? Das ist etwas schwer zu rekonstruieren. Na gut, ich sach ma: Makkabi hatte an diesem Sonntag ein Punktspiel gegen die Herren vom BSC Rehberge II – und irgendwie war von Anfang an der Wurm drin. Obwohl er vorher noch mal angerufen worden war, kam der angesetzte Schiedsrichter nicht. Ein Ersatz war nötig. Nach einigem Hin und Her einigten sich beide Mannschaften auf den 66-jährigen Günter Blüthmann, ein Vereinsmitglied des BSC Rehberge. Dass er etwas Probleme beim Gehen hatte, darüber gingen die Makkabi-Spieler hinweg.
Es war offensichtlich kein besonders schönes Spiel. Schiedsrichter Blüthmann hatte „eine deutliche Alkoholfahne“, wie es von Makkabi-Seite heißt. Schon nach zehn Minuten sei ihre Nummer 9 mehrfach als „Judensau“ beschimpft worden. Der „Schiri“ habe in der Nähe gestanden, aber nicht reagiert. Die Makkabi-Spieler, einige von ihnen sprechen Französisch auf dem Platz, seien von einem gegnerischen Spieler mit dem Spruch „Hier wird Deutsch gesprochen!“ angemacht worden. Zur Halbzeit stand es 4:0 für Makkabi.
In der zweiten Halbzeit habe es etwa ab der 60. Minute „eine regelrechte Jagd auf die Spieler von Makkabi“ gegeben, wie ihr Geschäftsführer Tuvia Schlesinger an das Sportgericht geschrieben hat. Nach mehreren Foul-Versuchen eines „Rehbergers“ an der schnellen Nummer 7 von Makkabi, Amir Rothkegel, habe der Makkabi-Spieler ihn „Vollidiot“ genannt – Schiri Blüthmann bekam dies mit und stellte Rothkegel daraufhin mit einer gelb-roten Karte, wegen Kartenmangels nur mündlich ausgesprochen, vom Platz. Dennoch gewann Makkabi 6:0.
Ein Spiel dauert 90 Minuten – aber nach dem Spiel ist eben manchmal nach dem Spiel, und deshalb ging es im Kabinentrakt erst richtig los. Was genau geschah, ist unklar. Blüthmann schrieb ans Sportgericht, er sei („leider allein“) in die Kabine gegangen, um das Spielformular, die Spielerpässe und die Spesen von 13 Euro zu verlangen, die jedem Ersatzschiedsrichter zustehen. Makkabi-Spieler hätten ihn zwischen nass geschwitzten Trikots und rauschenden Duschen beleidigt und sich geweigert, das Formular und die Pässe herauszugeben, sinngemäß sei ein Satz gefallen wie: „Du willst doch nach deiner Scheißleistung nicht auch noch die Hinausstellung auf dem Formular vermerken.“
Und dann war da noch die Geschichte mit den Schiri-Spesen: Blüthmann weigerte sich, weil eine Quittung fehlte, stattdessen „einen leeren Schmierzettel“ blanko zu unterschreiben, dass er die 13 Euro erhalten habe. Daraufhin sei er aufgefordert worden, das Geld wieder rauszurücken, so schrieb er an das Sportgericht: „Um dieser Aufforderung Nachdruck zu verleihen, griff ihn der Torwart von Makkabi köperlich an, indem er Blüthmann in eine Ecke der Kabine schob und ihm den Arm ruckartig auf den Rücken drehte.“ Blüthmann rückte das Geld raus, erhielt es aber plötzlich ohne Quittung wieder – und haute ab. Am darauf folgenden Dienstag attestierte ihm ein Arzt einen Bluterguss in der rechten Brust und eine Prellung der rechten Schulter.
„Ohne mündliche Verhandlung gemäß § 16 Abs. 1 BFV-RuVO“ und „gemäß §§ 10. u. 11 BFV-RuVO“ wurden die Senioren von Makkabi per einstweilige Anordnung bis zur mündlichen Verhandlung für alle Spiele gesperrt. Begründung des Sportgerichts laut Geschäftszeichen M 02/03-0374-0375: „Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da dies aus den vorhandenen Unterlagen unter Berücksichtigung evtl. Stellungnahmen möglich war.“
Schließlich die mündliche Verhandlung: In der Kammer 3 des Sportgerichts kommen, etwa zum Beginn des Sabbats, die „Prozessbeteiligten“ zusammen, wie es offiziell heißt. Im „Haus des Fußballs“. Vier ehrenamtliche Richter, Marke „regelmäßige Beobachter des Hertha-Trainings“, versuchen, alles möglichst förmlich-prozessual zu gestalten. Natürlich wird dies nie ausgesprochen, aber unterschwellig schwingt immer mit, auch nicht den Hauch von Befangenheit aufkommen zu lassen. Der Vorwurf des Antisemitismus schwebt im Raum. Ein Pressemann ist da. Es geht gegen Juden.
Am grünen Tisch fern des grünen Rasens flüchtet man sich ins Formelle. Getuschel gibt es bei den vollständig erschienenen Makkabi-Spieler, weil sie altdeutsch-sportlich mit „Kamerad“ angesprochen werden, also: „Kamerad Rothkegel“ und „Kamerad Schlesinger“. Obwohl dies alles Kameraden sind, verbindet beide Teams nicht viel. Die „Rehberger“: eher proletarisch-lässig, einer sogar noch in einen Blaumann gekleidet, berlinernd, bodenständig – „Kamerad Blüthmann“ hat Schwierigkeiten, eine Frage von Makkabi-Seite zu verstehen, da in ihr zu viele Fremdwörter stecken. Die Makkabi-Kameraden dagegen: ein internationales Team, viele in Anzügen, gewählte Sprache und offensichtlich mit Erfahrung in rechtlichen Angelegenheiten. Unwidersprochen bleibt, dass mindestens zwei Mitglieder der Mannschaft Rechtsanwälte sind.
Das Gericht, namentlich der Vorsitzende, bemüht sich ein wenig gespreitzt („Lächerlich ist hier gar nichts!“) um Autorität: Es habe offenbar „wie bei ’ner Jugendmannschaft Rumzicken in der Kabine“ gegeben, sagt er. Makkabi-Torwart Thomas Heinsius, der im Dreiteiler gekommen ist, streitet ab, „Kamerad Blüthmann“ tätlich angegriffen zu haben. Nach einiger Zeit aber räumt er ein, sich dem Schiri „in den Weg gestellt“ zu haben. Nicht so gut rüber kommen die Vorwürfe an „Kamerad Blüthmann“ („Sie widersprechen sich permanent“) und das Gericht („Sind Sie Richter oder parteiisch?“).
„Kamerad Blüthmann“ schildert mit vollem Körpereinsatz, wie er von „Kamerad Heinsius“ drangsaliert worden sei, appelliert an dessen Gewissen („Sportskamerad, warum hast du mich angegriffen?“) und kann das alles gar nicht verstehen: So etwas sei ihm in 50 Jahren Fußballerfahrung noch nie passiert.
Das Gericht rackert sich ab, aber der Ball ist rund, und natürlich ist nicht mehr zu klären, wer wann wem warum welche Art von Zettel gegeben hat. Und was danach geschah, damals, in der Kabine. Immerhin wird im Laufe der Verhandlung klargestellt, dass „Kamerad Rothkegel“ zum Gegenspieler nicht „Arschloch“, sondern „Vollidiot“ gesagt hat – und deshalb vom Feld flog. Die gelb-rote Karte übrigens, so bemerkt der Vorsitzende penibel, war falsch: Die rote Karte wäre die richtige gewesen.
Verhandlungspause, das Gericht muss sich nach den Schlussplädoyers zur Beschlussfindung zurückziehen. Marek Weinstein, ein Makkabi-Spieler, erzählt in der Pause, man werde während der Spiele in der Liga häufiger im Laufe des Gefechts als „Judensau“ beschimpft – man versuche, das zu ignorieren: So sei eben Fußball. In der Mannschaft spielten nur drei bis vier Juden, so genau wisse er es nicht. Aber ab und zu habe man den Eindruck, mancher Fußballfunktionär warte schon länger auf eine Gelegenheit, Makkabi mal eins auszuwischen. Blüthmann erzählt, eine so ätzende Stimmung wie unter den Makkabi-Spielern habe er selten erlebt.
Ein Spiel dauert 90 Minuten – Sportgerichtsverfahren dauern manchmal länger. Zwei Stunden nach Verhandlungsbeginn verkündet der Vorsitzende den Beschluss: Die Sperre gegen Makkabi wird aufgehoben, die zwei ausgefallenen Spiele werden nachgeholt. Auch wenn unklar bleibe, was genau vorgefallen sei, werde das Agieren von „Kamerad Heinsius“ als „unsportliches Verhalten“ gewertet. Er bleibt bis zum 14. April gesperrt. Makkabi erhalte eine Geldstrafe von 120 Euro. Wenn aber der Beschluss sofort akzeptiert werde, blieben davon nur 60 Euro, und die habe man ja schon im Voraus, wenn auch irrtümlich, bezahlt. Hätte Israels König Salomon ein weiseres Urteil fällen können?
Die Makkabi-Männer beraten sich kurz – und lehnen eine sofortige Annahme des Beschlusses ab. In einer fairen Geste geht „Kamerad Blüthmann“ auf „Kamerad Heinsius“ zu und gibt ihm die Hand. Hauptsache aber is aufm Platz. Morgen hat die 1. Seniorenmannschaft von Makkabi ihr erstes Nachholspiel: gegen den BFC Germania 1888.
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