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Archiv-Artikel

Im Banne des Kathodenstrahls

Wie wirkt das Fernsehen? Das Fernsehen. Nicht das Programm. Seine Technik. Nicht seine Inhalte. Warum wissen wir darüber so gut wie nichts? Am Montag beginnt Arte eine Reise ins Innere des Mediums, zu den unheimlichen Fällen des TV (22.05 Uhr)

von STEFFEN GRIMBERG

Wer hat’s erfunden? Nein, in diesem Falle nicht die Schweizer. Aber der Dokumentarist Peter Entell nähert sich dem Allerweltsmedium Fernsehen in dieser Koproduktion auf derart vielschichtige Weise, wie man es wohl nur hinbekommt, wenn man für eine dreisprachige TV-Anstalt wie eben das schweizerische Fernsehen arbeitet.

Denn „Le tube – Die Röhre“ meint das Fernsehen. An sich. Die leuchtende Röhre. Ihre Elektronenblitze. Sie ist beinahe 80 Jahre alt. Über ihre Wirkung wissen wir bis heute – fast nichts.

Warum starrt seine vierjährige Tochter derart gebannt auf die Mattscheibe, dass der Lidschlag so gut wie aussetzt, fragt sich der Journalist Luc Mariot. Was löst ihren schon beinahe krampfartigen Wutanfall aus, wenn es noch gar nicht Zeit zum Schlafengehen ist, sondern „nur“ der Fernseher ausgeschaltet wird? Wieso mussten nach der Ausstrahlung der 38. „Pokémon“-Folge mit ihren grellen Lichtblitzen mehrere hundert japanische Kinder mit so etwas wie epileptischen Anfällen ins Krankenhaus?

Mariot geht dem Phänomen der Röhre mit einem Kamerateam nach. Das ist anfangs ziemlich wissenschaftlich und etwas ermüdend, doch spätestens wenn er mit seiner japanischen Dolmetscherin im Allerheiligsten von Tokyo TV eindringt und sich die Messtechnik vorführen lässt, mit der die Pokémon-Macher heute eine Wiederholung der Blitzattacken aus Folge 38 verhindern wollen, fesselt der Film.

Das Fernsehen an sich – dies jedenfalls ist die These von Entell – hätte solche inhaltliche Überzeugungsarbeit aber gar nicht nötig: Das Flimmern und Rauschen der Elektrokiste nimmt uns ganz unabhängig vom Inhalt gefangen, hypnotisiert, macht süchtig, verwandelt Menschen in passive Gemüse vor der stets glimmenden Mattscheibe.

Um der wahren Wirkung des Kathodenstrahls auf die Spur zu kommen, reist Mariot auch in die USA, zu General Electrics, dem bis heute wichtigsten Unternehmen aus den Kindertagen der Television (und, ganz nebenbei bemerkt, bis heute Mutterkonzern der landesweiten NBC-Senderkette). Warum eigentlich galt schon in den allerersten Fernsehjahren der Rat: „Nicht zu lange! Und nicht zu nah dran ans Gerät!“? Man ahnte von der geheimisvollen Kraft der Kiste wohl mehr, als man wusste. Doch außer der Werbeindustrie, die gezielt Gehirnströme beim Fernsehen messen ließ, danach Wirkungsmuster strickte und ihre Werbung entsprechend ausrichtete, waren es eher die Geheimdienste und leicht verschrobene Kommunikationswissenschaftler, die sich um das wahre Verständnis von Medien bemühten. Zur Gehirnwäsche die einen – „ich kannte diverse Kapazitäten auf diesem Gebiet“, sagt im Film der mittlerweile verrentete Werbewirkungsforscher Krugman über solche geheimen Kontakte. Und für bis heute leicht verkannten Ruhm die anderen, wie der Kanadier Herbert Marshall McLuhan, dessen „Understanding Media“ (dt. „Die magischen Kanäle“) nach wie vor zu den unterschätztesten Büchern über Medien und ihre Wirkung gehört. Am Schluss wird aus „Le Tube“ eine Art „Akte X“ in eigener Sache: Dein Fernsehen – das unbekannte Wesen, schweizerisch diskret analysiert – und mit sehr gutem Begleitmaterial im Internet (www.filmtube.com).