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Archiv-Artikel

DIE PROAMERIKANISCHEN REGIERUNGEN DER GOLFREGION SIND VOGELFREI Der Irakkrieg erscheint als Kreuzzug

Muslime vergleichen die islamische Welt oft mit dem Fell einer Trommel: Ganz gleich, wo sie geschlagen wird, die Vibrationen und Erschütterungen werden auch an jedem anderen islamischen Ort wahrgenommen. Die Bomben, die zur Zeit auf Bagdad fallen, sind besonders harte Trommelschläge. Das haben die mit Dschihad-Aufrufen aller Art gespickten Freitagspredigten in den Moscheen von Marokko bis Indien gestern erneut gezeigt. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Muslime deuten den Angriff als Kriegserklärung gegen den Islam und verlangen von ihren Regierungen, Bagdad militärisch zur Seite zu stehen.

Dass der Irak seiner herrschenden Ideologie gemäß ein säkularer Staat ist, spielt dabei für die Gläubigen ebenso wenig eine Rolle wie Saddams jüngste Dschihad-Rede. Beides nimmt niemand ernst. Diejenigen, die jetzt zum Dschihad aufrufen, tun dies nicht, weil sie auch nur einen Pfifferling für den Diktator geben.

Sie tun dies, weil der Irak ein neuralgischer Punkt im kollektiven muslimischen Gedächtnis ist: Jahrhunderte lang wurden hier die Geschicke der islamischen Gemeinschaft entschieden. Sie tun dies auch, weil sie wissen, dass die Mehrheit der Muslime glaubt, es gehe beim Irakfeldzug in Wahrheit darum, Israel bei seinem Kampf gegen die Palästinenser den Rücken frei zu halten. Durch diese Verknüpfung mit dem Nahostkonflikt wird der Krieg gegen den Irak als Kreuzzug interpretiert, dessen Ziel es ist, den Muslimen die Herrschaft über ihre wichtigsten Stätten zu entreißen. Die Freitagsprediger können es sich, auch wenn sie zumeist von den Regierungen bestallt sind, auf Dauer nicht leisten, am Volkswillen vorbeizuargumentieren. Und die Antwort auf einen Kreuzzug kann aus islamischer Sicht nur der Dschihad sein, wenn man als Prediger glaubwürdig bleiben will.

Auch einige moderate Imame haben deshalb den Dschihad zur Pflicht erklärt. Nicht alle von ihnen meinen damit den bewaffneten Kampf. Doch immer mehr Gläubige fassen es so auf. Ist der Dschihad aber zur Pflicht erhoben, gilt seine Verhinderung als Vergehen. Die proamerikanischen Regierungen der Region werden damit für vogelfrei erklärt. YASSIN MUSHARBASH