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Archiv-Artikel

Die Explosion im Festspielhaus

Frank Castorf stellt gestern in Recklinghausen sein Programm für die Ruhrfestspiele vor. „No fear“ heißt das Motto. Der DGB fürchtet dennoch um sein Prestigeobjekt, dass zum ersten Mal unter dem Dach der RuhrTriennale stattfindet

Recklinghausen taz ■ Frank Castorf, Intendant der Berliner Volksbühne, mischt die altehrwürdigen Ruhrfestspiele auf. „Er ist eben momentan der interessanteste Regisseur“, sagte Ruhr-Triennale-Chef Gerard Mortier, der bereits vor zwei Jahren bei Castorf angefragt hatte: „Er kennt die Sprache, die Menschen an Rhein und Ruhr ins Theater bringt“. Gestern wurde das erste Festspiel-Programm vorgestellt.

Castorf eröffnet das Festival mit „Gier nach Gold“ nach Frank Norris und Erich von Stroheim. Der exzentrische Wiener Stroheim wanderte 1906 in die USA aus und drehte 1924 den 13 Stunden-Stummfilm „Greed-Gier nach Geld“, der in einer Dreistundenfassung in die Kinos kam. Der Film ist eine naturalistische Fallstudie über das animalische Zugrundegehen einer Kleinbürgerehe im US-Einwanderermillieu. Die Langfassung will Castorf nicht benutzen: „Obwohl es mehr Masochisten gibt, als man denkt“. Grinsend beruhigt er: „Haben sie keine Angst, es wird nichts Antiamerikanisches“. Dazu passt „No fear“, das Motto auf den grünen Plakaten, die ausdrücklich nichts mit NRW-Kulturminister Michael Vesper (Grüne) zu tun haben sollen. Doch Glanz soll auf der großen Festival-Bühne erhalten bleiben: „Das ist schließlich eine Erwartung an so ein Festival“. Castorf grinst immer noch und legt besonderen Wert auf eigene Ruhrfestspiel-Produktionen.

In deutscher Erstaufführung werden die „Dreigroschenoper“ von Bertholt Brecht und Kurt Weill in einer Aufsehen erregenden Jahrmarkt-Version des katalanischen Regisseurs Calixto Bieito und Martin Crimps „Cruel and Tender“ nach den „Frauen von Trachis“ von Sophokles zu Höhepunkten werden – der Berliner denkt an das sektschlürfende Premierenpublikum. Für den Rest holt Castorf unter anderen Christoph Schlingensief (“vor Bayreuth rockt der erst mal den grünen Hügel in Recklinghausen“), der Richard Wagner auf eine „Ruhrpottrallye“ schickt, mit Dachlautsprecher auf den Fahrzeugen und Unterstützung durch die Neue Philharmonie Westfalen. Auch Schorsch Kamerun, Sänger der legendären Punkband „Goldenen Zitronen“ kommt wieder. „Ein richtiger Direktimport der RuhrTriennale“, sagt Thomas Wördehoff, Chefdramaturg unter Mortier. Kamerun hatte auf Zeche Zollverein in Essen Hanns Eislers „Hollywood Elegien“ mit Irm Hermann inszeniert. Den grandiosen Erfolg soll er jetzt mit der Inszenierung „The Golden Age of Punk and Working“ im Kleinen Theater des Festspielhauses wiederholen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als Gesellschafter beobachtet das Treiben bei seinem traditionellen Festival, wie auch die Stadtvertreter, mit Argusaugen. „Es gibt Ängste beim DGB, aber auch eigene Interessen“, sagt Frank Castorf. Doch man habe nach langen Verhandlungen einen „glücklichen Kompromiss gefunden. Dafür hatte er aber fast ein Jahr „schwarz“ arbeiten müssen: „Hätte ich bis zur Entscheidung gewartet, würde das Programm nicht stehen“. Er möge sowieso Gewerkschafter in Polen und Frankreich lieber, weil die auch schon mal das Wort „Generalstreik“ benützten. Castorf kann sich wieder ein Grinsen nicht verkneifen. Die Ausstellung in der Kunsthalle bestreitet der Maler Günther Förg. „Ist das auch so ein Chaot, wie der da vorne?“ tönt es aus den Reihen der Recklinghäuser „Stadtväter“. Ein frischer Geist weht durch das Festspielhaus. PETER ORTMANN