: Frauen zahlen doppelt
Zahlreiche Mängel der Gesundheitsreform treffen vor allem Frauen. Unter anderem sparen die Krankenkassen bei der Mutterschafts- und Krebsvorsorge, so auch beim wichtigen Ultraschall
VON GISELA SONNENBURG
Für Christel Steylaers, Sprecherin von der Bundesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Frauenbüros, ist der Fall klar: „Frauen zahlen doppelt“, ahnte sie schon im Vorfeld der Gesundheitsreform. Jetzt hat sie Gewissheit: „Beim Einkommensvergleich sind Frauen, weil sie weniger verdienen als Männer, deutlich stärker belastet.“
Zehn Euro Praxisgebühr pro Quartal, Zuzahlungen sowie die komplette Bezahlung rezeptfreier Arzneien mögen beim Gehalt einer Gesundheitsministerin nicht viel ausmachen. Aber bei sozial schwachen Frauen ist die Grundversorgung gefährdet.
Schon bei der gebührenfreien Mutterschaftsvorsorge wird drastisch gespart: nicht mal die Ausflussdiagnostik zur Vorbeugung einer Frühgeburt, nicht mal den frühen Ultraschall zum Ausschluss einer Eileiterschwangerschaft enthält der Leistungskatalog.
Sorgfältig arbeitende Ärzte empfehlen deshalb in jedem Fall die Bezahlung der zehn Euro. Doch damit ist es nicht getan. Monika Weber, Gynäkologin und Vorstandsmitglied der Berliner Kassenärztlichen Vereinigung: „Alle Zusatzstoffe wie Jod, Eisen und Magnesium sind jetzt rezeptfrei, Patientinnen müssen sie selbst bezahlen.“
So können mehr als dreißig Euro pro Schwangerschaftsmonat anfallen – insgesamt also rund 300 Euro.
Schwangere haben zudem häufig Anämie, also zu wenig rote Blutkörperchen. Hoch dosierte Eisenpräparate sind dann notwendig, um eine Frühgeburt oder Fehlbildung zu verhindern. „Von jungen Frauen höre ich manchmal, dass sie das finanziell nicht schaffen“, sagt Weber. In besonders kritischen Fällen versucht sie, sich mit den Kassen zu einigen – dabei ist sie auf deren Einsicht und Kulanz angewiesen.
Auch die viel diskutierte Halbjahresrezeptur der Antibabypille ist laut Weber problematisch: „Bei einem neuen Präparat, das womöglich nicht vertragen wird, ist das unsinnig.“ Außerdem zahlt frau die „Pille“ aus eigener Tasche. Nur deshalb ist ein Halbjahresrezept überhaupt erlaubt. Nur: Sechs Pillenpackungen kosten natürlich mehr als eine oder zwei. Ob alle Frauen in der Lage sind, für die Verhütung im Voraus zu sparen?
„Ungewollte Schwangerschaften werden zunehmen“, befürchtet die Gynäkologin Weber. Da die Kassen die Kosten für Schwangerschaftsabbrüche tragen, dürfte kaum ein Spareffekt eintreten.
Teure Folgeschäden können auch entstehen, wenn ein Hormonpräparat, wie zum Beispiel die Pille , ohne Kontrolle geschluckt wird. Dabei dürfen Gynäkologen, von denen frau sich mindestens ein- bis zweimal jährlich untersuchen lassen sollte, nicht mal die Blutwerte einholen, um zum Beispiel Schäden an der Leber zu beobachten. Zur Erstellung eines Blutbilds muss frau dann zum Hausarzt oder Internisten, was die Kosten aber insgesamt nicht eben senkt.
Am ärgsten werden Frauen bei der Krebsvorsorge abgestraft. Denn be einem Muttermundabstrich, den die gesetzliche Vorsorge beinhaltet, wird nur nach einer von vielen Krebsarten gefahndet.
Dabei lobt selbst der Staat die relativ hohe Bereitschaft von Frauen zur Prophylaxe: „48 Prozent der Frauen gehen zur Vorsorge, aber nur 20 Prozent der Männer“, weiß Anneliese Ilona Klug vom Bundesministerium für Gesundheit. Sie pocht darauf, dass die Brustkrebsvorsorge demnächst verbessert wird: 50-Jährige und Ältere erhalten dann ohne Zuzahlung Mammografie-Screenings. Zu verdanken ist das allein dem signifikant schlechten Abschneiden Deutschlands im internationalen Vergleich bei der frühzeitigen Erkennung von Brustkrebs.
Eine andere Vorsorgemaßnahme müssen Frauen in Deutschland aber auch in Zukunft aus eigener Tasche bezahlen: den gynäkologischen Ultraschall, mit dem zum Beispiel Eierstockkrebs und das Adenokarzinom der Gebärmutter erkannt werden können.
Die Gynäkologin Weber rettete schon mal einer Patientin das Leben, weil sie mittels der Sonografie, wie die Ultraschalluntersuchung auch heißt, zufällig einen tückischen Blasenkrebs entdeckte. Auch Darmkrebs wird beim unkomplizierten und unschädlichen Schallen von der Vagina aus frühzeitig gesehen – es bietet eben Möglichkeiten, die es bei männlichen Patienten gar nicht gibt. Vielleicht, so wird bereits vermutet, wird der Ultraschall als Vorsorge deshalb vom Gemeinsamen Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (GBAK) ignoriert, weil dieser fast nur aus Männern besteht.
Der „Männerausschuss“ GBAK ist für die Erstellung der Richtlinien zuständig. Seine Pressereferentin, Kristina Reis-Steinert, befürchtet bei einer Lockerung des Ultraschallreglements: „Man würde sehr viel ohne Ergebnis schallen.“ Dass ein Negativbefund genauso wichtig sein kann, leuchtet ihr nicht ein. Und: „Das Thema wird bei uns nicht beraten, weil dazu kein Antrag vorliegt.“
Erst müsse eine Ärzteorganisation einen mit Statistiken und Studien gespickten Antrag auf Aufnahme des gynäkologischen Ultraschalls in die Krebsvorsorge einreichen.
Aber: „In Deutschland fehlt ein nationales Krebs-Register“, weiß Heiko Dudwiesus von GE Medical Systems. Seine Firma produziert unter anderem Ultraschallgeräte – die jüngste Neuentwicklung erprobt sie in England, wo man nicht ausgerechnet an Präventivmaßnahmen spart.
Alle von der taz befragten Gynäkologen bestätigen denn auch: „Der Ultraschall ist in der Krebsvorsorge absolut sinnvoll.“ Und: „Er gehört zu einer modernen Vorsorge.“ Eine seit über 15 Jahren tätige Ärztin: „Man sieht nicht nur Zysten, Myome und Krebs damit, sondern auch Veränderungen im Gewebe, die nicht tastbar sind.“ Ohne Ultraschall sei man zurückgeworfen in die „Steinzeit der Vorsorge“ – und auf den Tastbefund: „Der ist oft unzureichend oder nicht eindeutig.“
Auch die Ärztin Weber lässt bei sich von ihrer Gynäkologin das Ultraschall-Screening machen. Ihren Patientinnen bietet sie es, was allgemein üblich ist, als kostenpflichtige IGeL (Individuelle Gesundheitsleistung) an: Zwischen 20 und 35 Euro muss frau dafür berappen.
Nicht jede kann oder mag sich das leisten. Kritiker unterstellen den Ärzten, sie seien nur aufs Geld aus – aber faktisch kann eine Streuung und Ausbreitung von Krebs nur durch frühzeitiges Erkennen verhindert werden. Dazu ist der Ultraschall nach dem Stand der Wissenschaft der beste Weg – sofern ein Gynäkologe genügend Erfahrung damit hat.
Nochmals benachteiligt sind indes Frauen mit Behinderungen. „Sie haben schon dadurch keine wirklich freie Arztwahl, weil sie mit dem Rollstuhl nicht in jede Praxis kommen“, sagt Brigitte Faber vom Weibernetz e. V.: „Und es passiert bereits jetzt, dass Patientinnen auf Medikamente und Hilfsmittel verzichten, weil auch einprozentige Einkommensbelastungen für sie erheblich sind.“
Ist die Reform von reichen Männern für reiche Männer gemacht? „Für Menschen mit wenig Geld ist sie jedenfalls ein Problem“, meint Faber, die als Behindertenvertreterin an den GBAK-Sitzungen teilnimmt. Zwar ohne Stimmrecht – aber Vorschläge darf sie machen. Und sie stellt fest: „Frauen haben dort keine Lobby.“