: Neuer Antisemitismusfall?
betr.: „Total toller Frieden“, Schlagloch von Viola Roggenkamp, taz vom 26. 3. 03
Roggenkamp hat einen neuen Fall von Antisemitismus entdeckt: Auf den Friedensplakaten der Irak-Demonstrationen stehe „Frieden“ in allen Sprachen, nur nicht in Hebräisch. Dazu sind drei Dinge zu sagen:
Erstens stimmt das nicht. Hier, in Lübeck, stand „Lo laMilkhamá“ (Nein zum Krieg) sehr wohl auf dem großen, schönen Transparent der Interkulturellen Begegnungsstätte. Dies setzt allerdings voraus, dass in einem solchen Team Leute mitarbeiten, die des Hebräischen kundig sind. Dies war hier gegeben. Häufig ist das wohl nicht. Denn, zweitens: Wer soll es denn hinschreiben? Es gibt nicht mehr viele Juden in Europa, und deren jüdische Bildung ist nicht groß. Das hat in der Tat mit Antisemitismus zu tun, aber nicht heutiger Demonstranten, sondern von Hitler und seinem Gefolge. Daran können wir nichts mehr ändern. Diese Menschen sind ermordet und ihre Kultur ist zerschlagen worden. Heute in jeder Ritze Antisemitismus zu wittern, ist eine Stellvertreterschlacht.
Und drittens: Welche Juden wollen es denn hinschreiben? Es gibt Repräsentanten der Juden in Deutschland, ebenso wie israelische Politiker, die diesen Krieg gar nicht ablehnen: Er könnte ja gut für Israel sein. Diese Nonchalance ist aber ein Angriff auf die Grundlagen des Judentums. Denn selbstverständlich verbietet die jüdische Religion Präventivkriege: Es liegt kein zureichender Grund vor, das Gebot „Morde nicht!“ zu verletzen. Das Judentum war über Jahrtausende stolz darauf, Träger von Gottesfurcht und Moral zu sein: Auserwählt von Gott, weil es sich seinerseits Gottes universell gültige Moral auserwählt hatte. Heutzutage möchte „nationalreligiöse“ Ideologie den universellen Anspruch dieser Moral zum alten Eisen werfen. Mit gutem Willen kann man Frau Roggenkamps taz-Beiträge als Versuche der Rekonstruktion jüdischer Inhalte für unsere Zeit verstehen. Ich würde mir wünschen, dass dabei die moralische Dimension der jüdischen Tradition nicht auf der Strecke bleibt. ROLF VERLEGER, Lübeck
Der Krieg ist die hohe Zeit der Kollektivbildungen, man uniformiert sich, bekennt sich zum Patriotismus, reiht sich ein bei Massendemonstrationen. […] Kollektivbetrachtungen haben den Vorteil, dass man mit Argumenten sparsamer bleiben kann. Man legt sich seinen Gegner zurecht. Viola Roggenkamp hat beispielsweise auf den Massendemonstrationen Plakate mit dem Wort Frieden in mehreren Sprachen gesehen, aber nicht in Hebräisch. Natürlich gab es die auch, aber sie hat sie nicht gesehen. […]
Ich halte von solchen Kollektivbetrachtungen nichts. Es gibt Antisemitismus. Aber er hat die Demonstrationen nicht bestimmt. Die Gemeinsamkeiten der Menschen auf Massendemonstrationen reichen nicht weit. Die Demonstranten sind gegen diesen Krieg. Schon ob sie gegen jeden Krieg wären, ist zu bezweifeln. Das ist auf einer Demonstration gegen diesen Krieg auch gar nicht nötig. Die Grundsatzfragen werden nicht auf Demonstrationen ausdifferenziert. Dazu wäre beispielsweise in der taz Gelegenheit. Leider differenziert Viola Roggenkamp nicht. Sie zitiert zum Beispiel Freud mit dem Gedanken, dass die Menschen zum Krieg gerüstet sein müssten, da Recht „noch heute der Stützung durch die Gewalt nicht entbehren kann“. Aber welche Beschränkung müsste die Gewalt erfahren, damit sie zur Stützung des Rechts, im konkreten Fall also des Völkerrechts, taugt? Eine derartige Beschränkung haben sich die USA explizit nicht auferlegen lassen wollen. Roggenkamp meint, dass die USA Saddam Hussein auch dann bekämpfen dürfen, wenn sie ihn früher hofiert und bewaffnet haben: „Niemand muss sich tödlicher Gefahr hingeben, nur weil er seinem potenziellen Mörder die Waffe in die Hand gegeben hat.“ Das ist logisch. Aber sie wird doch nicht im Ernst behaupten wollen, dass der Vergleich auf den Irak und die USA passt, dass also der Irak eine tödliche Bedrohung für die USA dargestellt habe? ANDREAS ESCHEN, Berlin