Zur chemischen Keule verpflichtet

Das extrem giftige Unkrautvernichtungsmittel Paraquat ist in vielen Ländern bereits verboten. Doch will die EU-Kommission jetzt die Wiederzulassung erzwingen. Die Bundesregierung unterstützt sie dabei. Schweden will Brüssel hingegen verklagen

„Ein unglückliches Signal an die Dritte Welt, wo Paraquat ein großes Problem ist“

aus Stockholm REINHARD WOLFF

Kann die EU-Kommission einen Mitgliedsstaat zwingen, ein dort seit zwei Jahrzehnten verbotenes Pestizid wieder ins Land zu lassen? Ein hochgiftiges Konzentrat, das jährlich tausende Menschenleben kostet? Das will die schwedische Regierung nun vom EU-Gerichtshof geklärt wissen, den Stockholm in dieser Sache am Donnerstag angerufen hat.

Es geht um Paraquat. Für ein Verbot sieht Brüssel keine „ausreichende wissenschaftliche Grundlage“. Deshalb legte die EU-Kommission schon im letzten Oktober neben Schweden auch den übrigen nordischen Ländern und Österreich auf, das dort zum Teil schon seit zwanzig Jahren verbotene Unkrautbekämpfungsmittel wieder zuzulassen. Die deutsche Bundesregierung spielte dabei eine unrühmliche Rolle. Sie war das Zünglein an der Waage, welches die EU-Mehrheit zugunsten der Agrarchemielobby kippen ließ.

Da halfen auch die zahlreichen Einwände verschiedener Umweltgruppen wie des internationalen Netzwerks gegen Pestizide PAN (www.pan-germany.org) nichts. PAN macht Kampagnen gegen Paraquat und hat es auf die Liste des „dreckigen Dutzends“ gesetzt. „Ich bin ganz fürchterlich enttäuscht“, kommentiert denn auch die schwedische Umweltministerin Lena Sommestad die Haltung Berlins.

Paraquat, von der Weltgesundheitsorganisation WHO als „hochtoxisch“ klassifiziert, wird bereits seit den Sechzigerjahren wegen seiner schädlichen Wirkung für Mensch und Umwelt kritisiert. Zahlreiche Studien belegen Schäden für Säugetiere und Vögel, vor allem aber für Fische und Amphibien, weil das Präparat wasserlöslich ist.

Hauptsächlich wird es unter dem Namen Gramoxone von dem Schweizer Konzern Syngenta in mehr als 100 Länder verkauft. In Südeuropa und Deutschland wird es noch im Weinbau genutzt – wenn auch unter bestimmten Auflagen, die eine Anreicherung des Gifts in Boden und Grundwasser verhindern sollen. In der Dritten Welt werden mit Paraquat Bananen, Kakao, Kaffee und Baumwolle behandelt. Nach Kampagnen einiger NGOs sind mittlerweile aber auch mehrere Bananen-Konzerne ausgestiegen.

Schließlich können bei nicht fachgerechter Anwendung akute Vergiftungen beim Menschen auftreten. Gelangt das Mittel nur in geringen Mengen in den Körper, werden die Lungen schon zerstört und der Betreffende erstickt nach ein bis drei Wochen. Außerdem besteht der Verdacht auf Langzeitschäden wie Krebs und Parkinson. Ein Teelöffel Paraquat hat tödliche Wirkung, tausende pro Jahr verwenden es deshalb zum Suizid.

Die Entscheidung der EU, Paraquat weiterhin zuzulassen, gilt nicht nur als Sieg der Agrarchemielobby, sondern schickt laut Schwedens Umweltministerin auch „ein richtig unglückliches Signal von der EU an Dritte-Welt-Länder, wo Paraquat ein großes Gesundheitsproblem ist“. Das auch von der EU-Kommission übernommene Argument der Chemieindustrie, das Mittel sei bei „sachgemäßem Gebrauch“ für Menschen unschädlich, weisen KritikerInnen zurück. Die meisten Endverbraucher hätten keine Chance, Paraquat unter den vom Hersteller vorgeschrieben Schutzmaßnahmen anzuwenden. Das hätten die letzten Jahrzehnte ausreichend bewiesen. Das extrem hochgiftige Mittel habe deshalb nichts mehr auf dem Markt zu suchen.

Für Paraquat gibt es zudem seit langem ähnlich wirksame Ersatzmittel – die aber bei weitem nicht das gesundheitsschädigende Potenzial haben. Zumindest sind davon die Länder überzeugt, die ein Paraquat-Verbot ausgesprochen haben. Neben Skandinavien und Österreich ist das übrigens auch Slowenien. Das neue EU-Mitglied wird es wieder zulassen müssen – sollte der EU-Gerichtshof die Giftbrühe nicht noch stoppen.