: La frontera
Musikalisch kennt Lila Downs keine Grenzen. Trotzdem ist ihre Arbeit immer wieder von einer Borderline geprägt – der zwischen Mexiko und den USA
Eines Tages kam ein Mann zu Lila Downs, der gerade die Leiche seines Sohnes vom Flughafen in Acapulco abgeholt hatte. Der fassungslose Vater war verzweifelt, denn er konnte die dem Leichnam beiliegenden Papiere nicht lesen – sie waren in Englisch verfasst. So kam er, um sich deren Inhalt von Lila Downs übersetzen zu lassen. Der Sohn, das stand darin, war ertrunken – beim illegalen Grenzübertritt in die USA.
Hunderte sind es, die in den letzten Jahren beim Versuch in die USA zu gelangen, umgekommen sind. Ertrunken im Rio Colorado, einem Grenzfluss, sind die einen, verdurstet in der Meseta Bolsón die anderen. Hunderte, vielleicht auch Tausende sind auf dem Weg in ein vermeintlich besseres Leben gestorben. Lila Downs hat sich der Geschichte der Toten in ihren Liedern angenommen, den Namenlosen ihre Stimme geliehen. Sie hat über die Grenze geschrieben, gesungen und sie immer wieder besucht. So zum Beispiel die Grenzstadt Tijuana, die im Norden von einer riesigen Stahlmauer begrenzt wird – dem US-Bollwerk gegen die „Hungerleider“ aus dem Süden. Lila Downs kennt diese Grenze zwischen Nord und Süd aus eigener Anschauung. Nur verläuft die Grenze für sie mitten durch ihr Inneres.
Die Tochter einer Mixtecin und eines US-Amerikaners hat lange nach ihrer eigenen Identität zwischen indigenem Einfluss und dem Nordamerikas gesucht. Sie wuchs diesseits und jenseits der frontera, der Grenze, auf und ihre aktuelle CD heißt La Linea/Border. „Im Grunde waren wir alle Migranten und wir sollten die Leute respektieren, die die Orangen zu Orangensaft verarbeiten und die Erdbeeren in den Kuchen tun“, hat sie einmal an die Adresse der US-Amerikaner gesagt. Und hat „This Land is our Land“, Woody Guthries Hymne auf die schuftenden Wanderarbeiter im Süden, genauso in ihr Repertoire aufgenommen wie eine Gershwin-Ballade.
Berührungsängste musikalischer Natur hat sie ohnehin nicht. Ihr Repertoire verbindet Cumbia, Mariachi, Jazz, Blues, Boleros mit HipHop-, Gospel- oder Opernklängen – eine Fusion der besonderen Art. Dabei kommt kein Ethnobrei heraus, sondern eine eigenständige musikalische Collage. Denn für musikalischen Puritanismus hat die 34-jährige Grenzgängerin nichts übrig – davon kann man sich jetzt in der Fabrik überzeugen.
KNUT HENKEL
Donnerstag, 21 Uhr, Fabrik