: Stadtinterne Regionalisierung
Bücherhallen am Grindel werden zur reinen Kinderbibliothek mit Modellcharakter: HÖB-Leiterin Hella Schwemer-Martienßen setzt angesichts immer knapperer Kassen auf eine Mischung aus Schwerpunktsetzung und Zumutbarkeit
von PETRA SCHELLEN
„Steuergelder sind keine Almosen, sondern eine Investition in die Zukunft.“ Hella Schwemer-Martienßen, Leiterin der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB), erteilt eventuellen Vorwürfen, Kulturinstitutionen pflegten ein „Anspruchsdenken“, eine Absage. Gleichzeitig ist ihr klar, dass sich die Zuwendungen auch für ihre Institution absehbar nicht erhöhen werden. Eine Tatsache, die die HÖB zunehmend in Probleme stürzt, zumal Altersteilzeit-Regelung und steigende Beiträge für den Pensionssicherungsverein immense Summen verschlingen. Die HÖB-Leiterin betrachtet solche Entwicklungen allerdings pragmatisch: „Dies ist eine Chance, die eigene Erneuerungsfähigkeit zu beweisen und sich noch stärker zu profilieren.“
Teils unpopuläre Maßnahmen hat der Stiftungsrat deshalb jetzt beschlossen. Gravierendster Einschnitt wird zum 1. September die Umwandlung der Bücherhalle am Grindel in eine reine Kinderbibliothek sein – „eine Maßnahme, die mir nicht leicht fällt, die aber aus Finanzgründen nötig ist“. Zur zentralen Modell- und Projektbibliothek sollen die Räume am Grindel werden, in die auch die Kinderbücherei „Kolibri“ am Mittelweg integriert werden soll. Ein Haus der Begegnung soll so entstehen, das auch Projekte wie FLAx (FliegendeLeseAktion) anbietet – szenische Lesungen, die mit freien Theatermachern entwickelt wurden. „Am Grindel sollen auch alle Fachreferenten residieren, die die Leseförderung der Stadtteile koordinieren.“ Das bedeute allerdings nicht, dass die stadtteilnahe Leseförderung reduziert werde. Und betriebsbedingte Kündigungen soll es auch künftig nicht geben: „Solange noch Steuerungsfähigkeit vorhanden ist, können wir das Kollegium nicht für die Wirtschaftslage verantwortlich machen.“
Zumutbarkeit ist für Hella Schwemer-Martienßen auch bei der Reduktion stadtteilbezogenen Services wichtiges Kriterium: „Kleine Bücherhallen werden ihr Angebot noch stärker auf Kinder- und Familienliteratur konzentrieren. Und den Rückzug aus so genannten sozialen Brennpunkten – etwa aus Steilshoop – würde ich nie erwägen, weil unsere Präsenz dort besonders wichtig ist.“
Schließen wird sie allerdings die nebenamtlich geführten Ausgabestellen in Bahrenfeld, Berne, Nienstedten und auf der Veddel: „Diese Bestände wollen wir in nahe gelegene Schulbüchereien überführen. Auch das spart Personal und richtet sich abermals explizit an Kinder und Jugendliche, unsere vordringliche Zielgruppe.“
Überhaupt sei es ihr Ziel, „100 Prozent der Grundschulen zu erreichen“, sagt Hella Schwemer-Martienßen. „Drei Viertel decken wir schon ab, und mit denen, die noch nicht kooperieren, werden wir verstärkt Gespräche führen.“ Denn ihr liegt ernsthaft am „Lesekisten“-Projekt für erste und zweite Grundschulklassen; in Planung ist ein Bücherhallenpass für dritte Klassen.
Wie dies alles angenommen wird? „Über zwei Millionen Kinder bis 14 Jahre kommen jährlich in die HÖB. Das sind über 10.000 Kinder pro Öffnungstag und 40 Prozent aller Besucher“, sagt die Direktorin. Als soziale Aufgabe betrachtet sie, was die Bücherhallen leisten, „und ich würde mir wünschen, dass das auch die Sozialbehörde sähe und uns stärker unterstützte.“
Die Justizbehörde tut dies schon – wenn auch im bescheidenen Rahmen: 16.500 Euro kommen aus deren Etat; Gegenleistung der HÖB: die Betreuung von insgesamt 18 Bibliotheken in Strafvollzugsanstalten – „ein Service, der allen Gefangenen den Zugriff auf die HÖB-Bestände erlaubt“. Kalfaktoren – eingearbeitete Häftlinge – gewährleisten die dortigen Ausleihstunden, und auch hier beschränken sich die HÖB nicht auf die Betreuung Erwachsener: Zur Lesung vor jugendlichen Gefangenen begab sich jüngst Jugendbuch-Autor Zoran Drvenkar auf HÖB-Initiative in die JVA Hahnöfersand. „Denn auch dies betrachte ich als Beitrag zur Resozialisierung: diesen Jugendlichen zu zeigen, dass es Literatur gibt, mit der man sich beschäftigen kann – ohne dass ich deshalb glaube, dass sie zu manischen Lesern werden.“
Doch dies ist kein neuer Service der HÖB – „nur haben wir bislang nicht viel Aufhebens darum gemacht. Aber in Zeiten zunehmenden Rechtfertigungsdrucks muss man stärker nach außen tragen, was man tut, und immer wieder deutlich machen, dass wir die nutzerstärkste Kulturinstitution Hamburgs sind – mit zehn Millionen Ausleihen allein 2002.“ Andererseits seien die Einnahmemöglichkeiten weitgehend erschöpft: „Wir haben die höchsten Nutzungsgebühren im deutschsprachigen Raum. Da ist keine Steigerung mehr möglich.“
Deshalb wird auch Mietersparnis durch die Verkleinerung der Räume etwa am Osdorfer Born und in St. Pauli Teil des Konzepts sein. Auch in Steilshoop wollen die HÖB nachAblauf des Mietvertrags 2005 neue Räume suchen, „weil wir nur ein Drittel der dortigen Fläche brauchen“. Und für die Zeisehallen, die zur Jugend-Trendbibliothek werden sollen, könnte sich Hella Schwemer-Martienßen auch eine komplette Untervermietung vorstellen: „Der Mietvertrag läuft zwar bis 2012, aber falls wir früher einen Mieter finden, kann die Jugendbibliothek ohne weiteres im Dezember 2003 mit an den Hühnerposten ziehen.“
Eine Mixtur aus Visionen und kaufmännischem Denken ist also – so sieht es die HÖB-Leiterin – gefragt, die darin gipfelt, „dass nicht mehr alles an allen Standorten finanzierbar ist, insgesamt aber weiterhin das gesamte Spektrum bibliothekarischer Leistungen in Hamburg angeboten wird“.