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Archiv-Artikel

Entschuldbarer Antisemitismus

Christian Wulffs unsäglicher Vergleich von Managern mit verfolgten Juden zeigt, wie Kritik an konservativen Denkmodellen in Krisenzeiten mit allen Mitteln abgewehrt wird

Ines Kappert hat in den Literaturwissenschaften promoviert und ist Redakteurin im taz-Meinungsressort. Gerade erschien ihr Buch: „Der Mann in der Krise – oder: Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream“ im transcript Verlag.

Judenvergleiche sind derzeit wieder en vogue. Zumindest bei den Konservativen. Wer glaubt, Hans-Werner Sinn und Christian Wulff hätten mit ihrer jüngsten Parallelisierung von kritisierten Managern und verfolgten Juden einfach nur eine Dummheit begangen, der irrt.

Die Vergleiche sind haltlos und reflexhaft, aber sie folgen einer Logik; mitnichten sind sie irrational. Gerade weil der Vergleich so offensichtlich falsch ist, sollte man sich die subkutanen Botschaften ansehen, die mit seiner Hilfe lanciert werden. Um die Holocaustopfer selbst geht es dabei kaum. Ihre Ridikülisierung nimmt man nur in Kauf.

„In jeder Krise wird nach Schuldigen gesucht, nach Sündenböcken. Auch in der Weltwirtschaftskrise von 1929 wollte niemand an einen anonymen Systemfehler glauben. Damals hat es in Deutschland die Juden getroffen, heute sind es die Manager“. So formuliert es der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Werner Sinn. Nur wenige Tage springt Niedersachsens Ministerpräsident Wulff ihm zur Seite: In einem Interview mit dem TV-Sender N24 sprach auch er von „einer Pogromstimmung“ gegen „die Manager“.

Ein Politiker, der in der momentanen Situation Manager als Opfer einer Volkshetze stilisiert, der will ein klares Signal an eine für ihn wichtige Klientel senden: Wir stehen für eure Interessen ein – wählt uns! Und er will all diejenigen zum Mob erklären, die Kritik üben an einer politischen wie ökonomischen Führungsriege, deren wildwüchsige Spekulationen in den nächsten Wochen und Monaten weltweit Zigtausende von Arbeitsplätzen vernichten werden. Doch mit Stimmenfang allein erklären sich die Äußerungen des stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU nicht.

Schwerer wiegt, dass die Finanzkrise den Konservativen ideologisch ein vielschichtiges Problem bereitet. Sie diskreditiert das Credo vom selbstregulierenden Markt. Und sie diskreditiert das Konzept der Elite – das aber ist für das konservative Denken grundlegend. Der Vorstellung von einer gerechten Trennung zwischen „oben“ und „unten“ haben die inkompetenten Führungskräfte in Politik und Wirtschaft nun einen Tiefschlag versetzt. Denn wie ließe es sich angesichts des Versagens von Börsianern und Aufsichtsräten noch rechtfertigen, dass sie die Mehrheit anleiteten, gar Zugriff auf deren Rücklagen haben?

Mit seinem Hinweis, bei den vermeintlich verfemten Managern ginge es immerhin um Menschen, die „zehntausende Jobs“ sichern und „Millionen an Steuern“ zahlen, versucht Wulff dieses Hierarchiemodell zu retten. Es handele sich doch um gute Patriarchen. Die „unten“ hingegen will er prophylaktisch ruhig stellen, und zwar, indem er sie mit der gewalttätigen Masse vergleicht, die sich am Hab und Gut der Entrechteten vergreift. Dabei hat sich die geschmähte Mehrheitsbevölkerung bislang auch nicht versuchsweise an „den“ Managern bereichert. Doch es geht ja nicht um Fakten, sondern um einen ideologischen Schulterschluss, und es geht um Schuldabwehr.

Politiker vom Kaliber eines Christian Wulffs wissen genau, welche Signalwörter einzusetzen opportun ist – und welche auf keinen Fall fallen dürfen. Gleichzeitig gibt es in Deutschland parallel zum korrekten und differenzierten Umgang mit dem Holocaust auch die Tendenz, die Holocaust-Keule zu schwingen, wenn die Argumente ausgehen, weil das eigene Denken fundamental unter Druck geraten ist. Nur so lässt sich auch Helmut Schmidts Äußerung erklären, Oskar Lafontaine mit Hitler zu vergleichen.

Die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Juden nun gelten der deutschen Öffentlichkeit als das Sinnbild für unschuldige Opfer einer beispielslosen Brutalität. Das war nicht immer so. Erinnern wir uns: Erst im Anschluss an die 1979 ausgestrahlte US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ begann auch in deutschen Wohnzimmern eine breitere emotionale Annäherung an die Opfer. Die Darstellung der fast vollständig in Konzentrationslagern ermordeten jüdischen Familie durch Hollywood-Stars, etwa Meryl Streep, trug wesentlich dazu bei, dass man sich mit den Opfern identifizierte. Zuvor hatte der Großteil der deutschen Bevölkerung es vorgezogen, nicht über „die Juden“ zu sprechen. Und auch nicht mit ihnen zu fühlen. Doch seitdem zusätzlich die geschichtliche Holocaust-Aufarbeitung die Opfer vom Makel der Schwäche und des Verlierertums befreit hat, ist die Position des Opfers äußerst begehrt. Ihr Vorzug: Sie verspricht moralische Integrität.

Wer also in milliardenschwere Spekulationsgeschäfte verwickelte Spitzenverdiener in diese Geschichte der heldenhaften Unschuld einzuschreiben versucht, will sie von dem tatsächlich vielfach erhobenen Vorwurf der Verantwortungslosigkeit befreien – mit brachialsten rhetorischen Mitteln. Gemeinhin reagiert die deutsche Öffentlichkeit ja empfindlich, wenn in Sachen Holocaust geschichtliche Fakten gebeugt werden. Antisemitische Ausfälle sind entsprechend unpopulär. Sich willfährig den Status der Holocaust-Opfer zuzusprechen jedoch scheint eine der wenigen offiziell entschuldbaren Formen des Antisemitismus zu sein. Denn der Holocaust wird nicht geleugnet, sondern man erklärt sich – an der Oberfläche – solidarisch mit den Opfern.

Dass solche Aneignungen nicht deutlich mehr geächtet werden, scheint daran zu liegen, dass es in Deutschland eine psychologische Blockade gibt, sich vorzustellen, dass jemand, der wie Christian Wulff offenkundig zurechnungsfähig ist, die Leiden der Opfer so schnöde instrumentalisieren würde. Die Absurdität des Vergleichs arbeitet so für den Sprecher – also für den, der im Schatten einer aufgeklärten Gesellschaft den Konsens partiell aufkündigt, den Opfern des Holocaust Achtung zu zollen. Nur um ihn im Anschluss wieder zu bestätigen. Insofern bedeutet die Entschuldigung – nachdem der Zentralrat der Juden zu Recht protestiert hat – keineswegs eine komplette Annullierung des Gesagten. Im Gegenteil. Übergriff und Entschuldigung arbeiten Hand in Hand. Perfiderweise erlaubt allererst die sichere Möglichkeit, sich anschließend in aller Öffentlichkeit für den „Lapsus“ zu entschuldigen, die „Fehlleistung“ zu begehen. Ohne deswegen um seinen Job fürchten zu müssen.

Viele wollen Opfer sein, am besten Holocaust-Opfer. Denn das verspricht absolute moralische Integrität Es ist zu einfach, die Kritik an Christian Wulff allein dem Zentralrat der Juden zu überlassen

Mit seinem die Schrecken des Holocausts instrumentalisierenden Abwehrreflex steht Christian Wulff keineswegs allein in seiner Partei – auch wenn es falsch wäre, deswegen der gesamten CDU ein instrumentelles Verhältnis zum Dritten Reich zu unterstellen. Hessens ewiger Ministerpräsident Roland Koch etwa beschimpfte den Ver.di-Chef Bsirske indirekt als Antisemiten. Im Streit über die Vermögensteuer sah er 2002 die Wohlhabenden einer Stigmatisierung ausgesetzt, die „einer neuen Form von Stern an die Brust “ gleiche. Der Vergleich hat ihm politisch nicht geschadet.

Insofern ist die Coolness, mit der viele auf die Äußerung Christian Wulffs reagieren, zwiespältig. Natürlich sind Politiker, die solche Vergleiche tätigen, kein ernst zu nehmendes Gegenüber. Sie haben ein verachtendes Schulterzucken verdient. Sich aber darauf zu verlassen, dass ihr Opportunismus vor allem sie selbst beschädige, ist voreilig. Daher gibt es keine Alternative zur scharfen Kritik an ihren wohlfeilen Schuldabwehrreflexen. Sie allein dem Zentralrat der Juden zu überlassen ist zu einfach, und es ist zu wenig.

INES KAPPERT