: Jenseits der Familie
Eine Freundschaft zwischen einem Schmuggler und einem Mädchen an der deutsch-polnischen Grenze: Jaroslaw Marszewskis Debütfilm „Tomorrow Heaven Comes“
Wenn ein Schmuggler etwas nicht gebrauchen kann bei seiner Arbeit, ist das ein zehnjähriges Mädchen, das ihm klugscheißerisch Ratschläge erteilt. Mit 20 Kisten Wodka im Auto an der deutsch-polnischen Grenze unterwegs zu sein, ist schon alleine gefährlich genug. Doch in einem Moment der Unaufmerksamkeit hat der Schmuggler einen Hund überfahren. Und dann taucht plötzlich dieses Mädchen auf und besteht auf einer Beerdigung, noch dazu an einem Ort, den nur das Tier kenne.
Einsame Männer, die mit Dingen jenseits des Gesetzes beschäftigt sind, waren im Film von jeher große Jungs. Zumindest, wenn sie mit wirklichen Kindern konfrontiert sind. Und wie in Leon – Der Profi stellt sich auch hier das Mädchen als die eigentlich Erwachsene heraus. „Es geht um einen 40-jährigen Jungen und eine zehn Jahre alte Frau, die sich auf der Straße von der Einsamkeit zur Freiheit bewegen“, sagt denn auch der Regisseur Jaroslaw Marszewski über seinen Film Tomorrow Heaven Comes (Jutro bedzie niebo).
Die Wutausbrüche des Schmugglers (dargestellt von dem in Polen sehr populären Krzysztof Pieczynski) lassen das Mädchen (Ola Hamkalo) völlig kalt. Mit stoischem Gesichtsausdruck, unglaublicher Beharrlichkeit und einer neunmalklugen Dialektik kontert sie seine blöden Erwachsenenfragen. Der Hund werde ihr verraten, wo er beerdigt werden wolle. Und bis dahin muss er den blutenden Leichnam und sein Medium eben in seinem Auto dulden. Und aushalten, dass sie, statt Anworten zu geben, mit Fragen nervt, nach seiner Vergangenheit, einer Familie, einer legalen Arbeit, nach seinen Schulden und Gläubigern: „Warum haust du nicht einfach ab?“ – „Wohin denn?“ – „Nach Mexiko wie Thelma und Louise!“
Mit wenig Geld musste Marszewski – wie viele junge Filmemacher in Polen zurzeit – für seinen Erstling auskommen. Ein Roadmovie bot sich da an: „Das natürliche Licht war ausreichend, wir brauchten nicht so eine große technische Ausstattung und bloß ein kleines Team.“ Die pekuniäre Leere hat er nicht nur mit eindringlichen Bildern der Gesichter seiner beiden Hauptdarsteller und der Landschaft an der deutsch-polnischen Grenze zu füllen gewusst. Er hat sie auch durch spärlich eingesetzte minimale Verlangsamungen und rasante Schnittfolgen – etwa bei einer Verfolgungsjagd im Maßstab einer polnischen Kleinstadt – geschickt zu dramatisieren verstanden.
Tomorrow Heaven Comes kombiniert mit Gewinn für seine Geschichte eigentlich ausgetrampelte Pfade des Kinos, den des Roadmovies und den einer sich entwickelnden Freundschaft zwischen einem einsamen Mann und einem allein gelassenen Kind, aber auch den des Thrillers. Marszewski gab der Geschichte zugleich eine Note des Unwirklichen; doch kein Element ist so surreal, dass es nicht mehr als möglich durchgehen könnte. Den entscheidenden Schritt zur Seite macht der Film, wenn der Mann und das Mädchen zusammen nicht etwa herausfinden, dass ihre jeweilige Einsamkeit Folge des Wegbrechens herkömmlicher Familienwerte ist. Der Rückhalt, den beide einmal hatten, begann vielmehr zu bröckeln, weil ihren Familien der Verdienst genommen wurde. Und so restituiert Marszewski in der Beziehung der beiden am Ende folgerichtig auch keine alten familiären Muster.
Christiane Müller-Lobeck
So (OF/engl. UT), 19 Uhr, Metropolis (Gast: Krzysztof Pieczynski)