: Grenzen und Spielräume
Das Bachelor-Master-System wird kommen, die Anfängerzahlen werden gesenkt, sagt Wissenschaftssenator Jörg Dräger. Aber bei den Inhalten gibt‘s Autonomie
■ Der Bericht der Dohnanyi-Kommission enthält Empfehlungen. Was davon umgesetzt wird, entscheidet letztendlich Wissenschaftssenator Jörg Dräger. Die taz löcherte den parteilosen Senator mit Fragen, um zu wissen, wer bangen muss und wer noch hoffen darf
Interview: KAIJA KUTTER
taz: Werden Sie das Dohnanyi-Konzept eins zu eins umsetzen?
Jörg Dräger: Das kann ich erst am Ende des Diskussionsprozesses beantworten. Der Hamburger Senat wird im Juni entscheiden, was umgesetzt wird und was nicht. Was ich jetzt schon sehr positiv bewerte: Es ist hier gelungen, ein umfassendes Reformpaket vorzustellen. Das erklärt sich aus der Methodik: Die Dohnanyi-Kommission hat nicht 300 einzelne Studiengänge und jeden einzelnen Forschungsschwerpunkt qualitativ bewertet, um dann von unten nach oben zu denken. Sie hat versucht, für den gesamten Stadtstaat ein sinnvolles Strukturkonzept vorzulegen.
Und hat Fehler gemacht. Der Journalistik wurde eine schlechte Erfolgsquote unterstellt, obwohl sie erst seit 2000 existiert.
Jedes Fach, das vor 1995 nicht existierte, hat noch keine Absolventenquote, das ist richtig. Aber die Aussage bezog sich auf das gesamte Feld Medien, nicht nur auf die Journalistik. Dieses Feld ist sehr divers, es reicht von der Beleuchtungstechnik bis zum Wissenschaftsjournalismus.
Die Kommission schlägt vor, Fächer zu schließen. Wird die Soziologie weiter bestehen?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu beantworten. Die Empfehlungen des Reformpakets gleichen sich in ihren finanziellen Auswirkungen aus. Rosinenpickerei kann es nicht geben. Sehr wohl wird es aber Felder geben, die man sehr spät oder gar nicht umsetzt, weil sich neue Entwicklungen ergeben. Es gibt Empfehlungen, bei denen ich sicher bin, dass dies die zukünftige Entwicklung ist, beispielsweise das Bachelor-Master-System. Bei inhaltlichen Details achte ich die Autonomie der Hochschulen.
Das sagten Sie bereits zu den Geisteswissenschaften. Müssen die sich nun halbieren?
Die quantitative Empfehlung mit 25 Prozent weniger Anfängern nehme ich sehr ernst.
Also weniger Ressourcen.
Nein. Den Geisteswissenschaften wird kaum Geld weggenommen. Die Kommission will die Betreuung um 65 Prozent verbessern, um den Studienerfolg zu erhöhen. Das heißt, fast so viele Professoren wie bisher bilden weniger Studierende aus. Was wir nicht wollen, ist, diese 25 Prozent überall gleichmäßig wegzunehmen. Bei kleinen Studiengängen mit sehr wenigen Anfängern macht das kaum noch Sinn.
Wo liegt die Grenze?
Wir haben in kleinen Studiengängen – das klingt jetzt technisch – Curricularnormwerte von 8 und in großen Studiengängen von 1,2. Dass 1,2 zu niedrig ist, ist klar, aber 8 ist grenzwertig hoch. Noch höhere Werte wären nicht zu rechtfertigen. Deshalb werden wir als Rahmen die Anfängerzahl, die Betreuungsrelation und das Budget vorgeben. Es müssen nicht 50 Prozent der Fächer reduziert werden, aber es werden weniger. Wo die Universität ihre Schwerpunkte setzt, bleibt ihr überlassen.
Das ist ein bisschen gemein.
Ich biete gern Unterstützung an, aber die Fachkompetenz, dies zu entscheiden, liegt dort. Der Fachbereich 07 hat bereits Studiengänge geschlossen.
Es sind fünf Fachbereiche.
Es darf nicht zu einer Lagerbildung kommen. Wir müssen darauf achten, dass übergeordnete Interessen gewahrt bleiben. Es gibt Fächer, die für die Lehrerbildung, für den universitären Charakter und für Hamburgs Zukunftsperspektiven wichtig sind – Stichwort Sinologie.
Und was könnte weg?
Ich nenne keine Fächer. Der Dialog mit den Dekanen hat gerade erst begonnen, sie wollen diesen Prozess selbst durchführen. Sie haben ein paar kritische Anmerkungen gemacht, aber den Rahmen akzeptiert.
Die HWP soll mit Teilen der Uni zu einer School fusionieren. Da treffen Kulturen aufeinander.
Ohne Frage. Das gibt es aber auch innerhalb der Universität und kann belebend wirken.
Wenn Sie die Wirtschaftswissenschaften aus der Uni lösen, gehen Nebenfächer verloren.
Die Kommission empfiehlt eine weitgehend autonome School unter dem Dach der Universität.
Also BWL mit Nebenfach Japanologie wäre weiter möglich.
Ja. Ein System mehrerer Schools muss die Interdiziplinarität auf jeden Fall gewährleisten. Dies geht mit Kooperationsverträgen. Für mich bietet das School-System gerade die Chance, Einheiten zu schaffen, die über Fächergrenzen hinweg gleichberechtigt zusammenarbeiten.
Können Sie Frau Bittscheidt überzeugen, mit unter dieses Dach der Universität zu kommen? Die HWP möchte ja lieber eine neue School gründen.
Wir haben diesem Bereich für den Zusammenführungsprozess die Hilfe eines externen Moderators angeboten. Das ist, glaube ich, auch nötig. Die Position der Uni – „alles ist vorstellbar, solange nichts herausgelöst wird“ – und die der HWP – „alles ist vorstellbar, solange wir von vornherein eigenständig bleiben“ – können sehr wohl angenähert werden. Im Endeffekt geht es um den Grad der Autonomie. Dass es in Hamburg irgendein Dachsystem universitären Charakters geben muss, das Kooperationsbeziehungen regelt, ist von jedem anerkannt. Die HWP hat aufgrund ihrer Eigenständigkeit einen hohen Innovationsgrad gehabt. Da ist es wichtig, so eine neue School nicht durch unnötige Gremienstrukturen zu belasten.
Bleiben Soziologie und Politologie als Hauptfach bestehen?
Wenn man die Idee des gemeinsamen grundständigen Studiums innerhalb der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät haben will, dann erübrigt sich diese Frage. Es wird Schwerpunkte geben, da kann man sich beispielsweise einen sozialwissenschaftlichen, einen wirtschaftswissenschaftlichen und einen volkswirtschaftlichen vorstellen.
Ist das so beschlossen?
Es ist bisher eine Empfehlung. Es wird in dem einen oder anderen Bereich sicher gute Argumente geben, zwei grundständige Studien anzubieten. Die Mathematik, Physik und Informatik könnte zusammen, aber nicht mit der Biologie und Chemie. Es wird sicher Diskussionen geben, wie viele dieser grundständigen Studiengänge man braucht. Innerhalb des grundständigen Studiengangs können Studierende Schwerpunkte setzen.
Grundständiges Studium ist der erste Teil des Bachelors (BA)?
Nein, der gesamte Bachelor.
Sind das nicht zu viele Ansprüche? Dieser Abschluss soll praxisbezogen und berufsqualifizierend sein. Andererseits packen sie mehrere Fächer zusammen.
Zuallererst soll der Bachelor stark methodisch orientiert sein. Das ist wichtig für die Profilbildung zwischen Fachhochschule und Universität. Hier werden Methoden erlernt, die in viele Felder transferierbar sind. Auf der anderen Seite werden Schlüsselqualifikationen vermittelt, die nicht fachspezifisch sind, aber auch Qualifikation für einen Berufseinstieg sein können. Und der Bachelor hat den Anspruch, genügend fachliche Qualifikation zu bieten, um eine fachliche Spezialisierung zu erreichen, die auch in einen Beruf führen kann. Dies alles funktioniert international sehr gut. Wir erfinden nicht dieses System, wir sind die letzten, die es übernehmen.
Aber in Deutschland ist der Bachelor-Abschluss kaum verbreitet. Trotzdem sollen 50 Prozent nur mit diesem Abschluss entlassen werden. Ist das nicht riskant?
Wir haben inzwischen etwa 15 Prozent der Studiengänge im Bachelor-Master-System, aber nur 5 Prozent der Studienanfänger. Richtig ist auch, dass gerade bei den großen Universitäten jeder auf den anderen schaut und fragt, wer bewegt sich zuerst. Aber das konsekutive Bachelor-Master-System wird kommen.
Dohnanyis Konzept sieht Quoten vor. In Betriebswirtschaft zum Beispiel dürfen nur 30 Prozent den Master machen. Das ist ja bisher vom Studienerfolg abhängig.
Das wird es auch weiter sein. Die Kommission hat ja nur eine Plausibilisierung vorgenommen.
Führen Sie die Quoten ein?
Inwieweit es eine Quotierung gibt, kann ich noch nicht sagen. Klar ist nur: So, wie nicht jeder, der promoviert, auch habilitiert, wird nicht jeder, der einen Bachelor macht, den Master draufsetzen. Wir sehen jetzt ja schon bei der Informatik, dass jeder Dritte mit dem Bachelor abgeht.
Aber das ist freiwillig. Wenn es bei dieser Freiwilligkeit bliebe, würden Sie Dramatik rausnehmen. So aber sieht es nach Zwei-Klassen-Studium aus.
Im Master-Studium wird wissenschaftlich gearbeitet. Das ist eine neue Herausforderung, da muss es eine Eingangsprüfung geben. Nur ein konsekutives System ist akkreditierungsfähig in Deutschland. Deshalb wird auch die Universität Hamburg, die bisher auf eine solche Eingangsprüfung verzichtet, ihr integriertes Bachelor-Modell ändern müssen. Ich bin als Vertreter der Kultusminister im Akkreditierungsrat. Dort hat Herr Dr. Lüthje kürzlich die Idee des integrierten Bachelor-Master-Systems präsentiert. Der Rat hat festgestellt, dass die Universität Hamburg eine der ersten war, die das Bachelor-Master-System eingeführt und durch ihr integriertes Modell Akzeptanz geschaffen hat. Doch dies war nur ein erster Schritt. Wir bewegen uns in Deutschland auf ein konsekutives System hin. Deswegen muss das integrierte System der Universität in ein konsekutives überführt werden.
Mit Quoten oder ohne?
Die Quoten sind eine Plausibilisierung. Eine KMK-AG arbeitet übrigens auch an einem Papier, in dem Modellrechnungen mit wesentlich radikalerer Quote angestellt werden.
Wie hoch denn?
25 Prozent durchschnittlich.
Oh.
Das ist ein Arbeitspapier, also noch nicht auf der politischen Ebene. Ich habe keine Einschätzung, wie das politisch behandelt wird. Aber die Logik der AG ist: Wenn der Master wirklich ein forschendes Studium ist, dann müssen die Betreuungsrelationen dort sehr hoch sein, viel höher als heute. Forschung braucht eine andere Betreuung als Vorlesung. Und es will auch nur ein kleinerer Teil der Studenten wirklich forschen.
Also muss es die Quote geben, damit das Modell funktioniert?
Ich kann es wirklich nicht sagen, bevor der Diskussionsprozess abgeschlossen ist. Wir brauchen die Qualifikationsüberprüfung, wir brauchen ein konsekutives System. Inwieweit wir dann Quoten festsetzen müssen? Ich bin eigentlich kein Freund von Quoten. Systeme, die so sinnvoll sind, dass sie von sich aus funktionieren, sind besser.
Dohnanyi hat einen Absolventenbedarf prognostiziert für 2012. Wo sind die Berechnungen? Werden die öffentlich?
Die Berechnungen sind den Hochschulen zur Verfügung gestellt worden. Bei der Bedarfsprognose ist eines entscheidend: Den größten Effekt bilden die Akademiker, die in den Ruhestand gehen. Hier brauchen wir Ersatzbedarf, der pro Branche betrachtet wurde und den Löwenanteil der Prognose ausmacht. Der Bedarf für Wachstumsbranchen macht nur sieben Prozent aus. Und es gibt eine kleine Wandlungsquote von nicht-akademischen in akademische Jobs.
Es gibt Hochschulen, die sagen, sie seien gar nicht in der Lage, die x-beliebigen Absolventenzahlen zu liefern. Die TU zum Beispiel.
Die TU beklagt, dass sie zwar genügend Studierende hat, aber nicht die richtigen. Deshalb erlauben wir der TU und den anderen Hochschulen, die Studierenden zukünftig selbst auszuwählen.
Sie reden vom Bedarf nach Absolventen. Aber was ist mit dem Bedarf der jungen Menschen nach Studienplätzen? Die werden abgebaut.
Um 15 Prozent, das stimmt.
Ihr Platzabbau geht im besten Fall auf Kosten jener, die heute ihr Studium abbrechen. Das ist auch ein Abbau von Bildung. Die haben auch Bildung genossen und sind in Berufen gelandet.
Ich habe zwei Antworten: Was ist verantwortlicher? Demjenigen, den man aufnimmt, ein sinnvolles Maß an Bildung zukommen zu lassen und ihm die Chance für einen Abschluss zu geben. Oder einer möglichst breiten Gruppe irgendetwas zu bieten, wo dann die Selektion der Überlebensfähigen greift? Und die andere: Wir haben in anderen Städten Studienplätze frei. Es wird weiter genug Studienplätze geben, nur nicht immer in den beliebten Metropolen wie München, Berlin oder Hamburg.