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Archiv-Artikel

Eine mörderische Jagd

Ein Streifenwagen hetzte einen jugendlichen Mofa-Rollerfahrer mit Blaulicht in eine Wiese und überfuhr ihn schließlich. Begründung: Das Mofa hatte kein Versicherungskennzeichen. Im gestrigen Prozess wurde noch kein Urteil gesprochen

Bremen taz ■ “Der Roller verschwand aus meinen Gesichtsfeld. Dann hat es gerumpelt, ich hatte irgend etwas überfahren“, so schildert der 31jährige Polizeibeamte B. den entscheidenden Moment. Das „irgendetwas“ war der damals 18jährige Holger K. Der Polizeiwagen hatte den Mofa-Roller auf mörderische Weise verfolgt. Anwohner vom Kamphofer Damm in Woltmershausen, die an jenem lauen Sommerabend im Juli 2002 noch gegen 23 Uhr vor der Tür gesessen und die Sekunden der Verfolgung mitbekommen hatten, berichteten gestern vor dem Amtsgericht, dass der Polizeiwagen einen halben Meter oder noch dichter hinter dem Mofa hinterher gerast sei. Mehrfach habe er bei einer Geschwindigkeit von rund 50 km pro Stunde den Rollerfahrer „touchiert“, räumte der Polizeibeamte ein. Der Roller bog auf eine Wiese ein, die Hinterachsen des Polizeiwagen kamen 40 Meter weiter auf der Wiese zu stehen. Der Rollerfahrer lag bewusstlos im Gras.

Warum verfolgen zwei Polizisten einen 18jährigen Mann auf diese Weise? „Das einzige, was auffiel, war, dass kein Versicherungszeichen daran war“, so der Polizeibeamte B. ein. „Warum sind Sie dann auf der Wiese weiter gefahren, obwohl Fahrer wie Roller im Dunkeln aus der Sicht verschwunden waren?“ fragte der Richter. „Das vermag ich Ihnen heute nicht zu sagen“, antwortet der angeklagte Polizeibeamte.

Es geht um gefährliche Körperverletzung – wenn das Strafmaß von einem Jahr überschritten wird, dann droht dem Beamten, der gerade eine Fortbildung zum Kommissar macht, die Entfernung aus dem Dienst. Der einzige, der den Angeklagten entlastet hat, das war sein Kollege, der neben ihm im Polizeiwagen saß. Aber diese Aussage scheint in krassem Gegensatz zu dem zu stehen, was Anwohner beobachtet haben. Der Staatsanwalt wies den Beifahrer auf sein Zeugnisverweigerungsrecht hin. Immerhin könne er sich durch seine Aussage selbst belasten. „Strafvereitelung im Amt“ hieße der Vorwurf, wenn der Kollege eine Falschaussage macht. Und dieser Vorwurf stand offenkundig im Raum.

Auch der Verteidiger des Polizisten B. stimmte nach einer zehnminütigen Bedenkzeit zu, auf die Vernehmung des Entlastungszeugen zu verzichten. Die übliche polizeiliche Kumpanei zur Verdeckung von Übergriffen – nur dass es hier noch andere zeugen gab.

Der überfahrene Jugendliche hat Glück gehabt, dass er mit dem Leben davon kam. Die Ärzte stellten einen Trümmerbruch am Arm, einen Beckenbruch sowie einen Nieren- und Lungenriss fest. Und dann ist da noch die Geschichte mit der Lehrstelle. Holger K. ist heute arbeitslos. Er war damals in der Lehre als Tiefbaufacharbeiter. Wochenlang lag Holger K. im Krankenhaus, Monate fehlte er auf der Arbeit. Seine Prüfung bestand er dennoch nach zwei Jahren – aber einen Vertrag für ein drittes weiterführendes Lehrjahr bekam er trotzdem nicht. Sein Arbeitgeber verweigert ihm bis heute die Fortzahlung des Lohnes für die Krankheitsmonate.

Warum hat der Roller-Fahrer nicht angehalten, das war eine der Fragen. Er selber hatte dafür eine einfache Erklärung: Er sei in Panik gewesen, will der Polizeiwagen mit Blaulicht unmittelbar hinter ihm her raste. Er habe Angst gehabt: Wenn er abbremst, wird er überfahren. Die Nachbarn haben nach dem Geräusch des Aufpralls nur noch einen Schrei gehört. „Hört auf“ oder so habe der Jugendliche geschrieen. Das Urteil wird kommende Woche erwartet. Klaus Wolschner