: „Der Hass auf die USA wächst“
Interview ADELBERT REIF
taz: Herr Kermani, Ihre Reportagen aus Ägypten, Pakistan, Israel, Palästina sowie dem Iran haben durch den Angriff auf den Irak eine besondere Aktualität erlangt. Was bedeutet dieser Krieg aus der Perspektive der Länder dieser Region?
Navid Kermani: Es sind viele verschiedene Szenarien denkbar, auch solche, nach denen der Irak innerhalb relativ kurzer Zeit eine prowestliche, halbwegs demokratische Regierung bekäme. Diesen Szenarien stehen freilich eine große Anzahl anderer, weit weniger optimistische gegenüber. Sollte sich der Krieg über einen längeren Zeitraum hinziehen und die Zahl seiner Opfer auf irakischer Seite hoch sein, dann wird das die Unruhe in den arabischen Ländern erheblich steigern. Gruppen, deren Zweck im gewaltsamen Kampf gegen amerikanische und israelische Ziele liegt, werden beträchtlichen Zulauf erhalten. Das wiederum wird eine Gegengewalt auslösen und die Spirale von Gewalt und Gegengewalt, wie wir sie in den letzten zwei, drei Jahren im israelisch-palästinensischen Konflikt beobachten können, globalisieren.
Wie real schätzen Sie diese Gefahr ein?
Darin sehe ich eine reale Gefahr. Und sie stellt zugleich eine Gefahr für unsere eigenen Rechtssysteme im Westen dar. Denn wir sollten uns keinen Illusionen hingeben: Wenn es hier in Europa in rascher Folge zu zwei oder drei großen Terroranschlägen kommt, dann werden wir feststellen, wie leicht das Fundament von Toleranz und Rechtsstaatlichkeit auch auf diesem Kontinent zu erschüttern ist. In dem Augenblick nämlich, da sich unsere Gesellschaft konkret bedroht fühlt, sich kollektive Ängste in ihr ausbreiten, wird die Bereitschaft steigen, „Sondermaßnahmen“ beliebiger Art zu ihrem Schutz zu akzeptieren und ideelle, rechtliche, moralische Errungenschaften aufzugeben, für die sie jahrhundertelang gekämpft hat. Das hat das Beispiel der USA nach dem 11. September bereits gezeigt.
Und wenn der Krieg ein rasches Ende findet?
Selbst ein schneller und halbwegs glimpflicher Verlauf des Krieges im Irak dürfte schwerwiegende Folgen nach sich ziehen: In einem solchen Fall würde das die strategischen-militärischen Ambitionen der gegenwärtigen Administration in Washington zweifellos bestärken und sie zu weiteren kriegerischen Unternehmungen ermuntern. Man muss nur studieren, welche Vorstellungen neokonservative Denker bereits seit den frühen Neunzigerjahren – seit dem Ende der bipolaren Weltordnung – entwickelt haben.
Also eigentlich, seit es keine tatsächliche Bedrohung mehr gibt?
Natürlich kann von einer realen „Bedrohung“ Amerikas durch die Staaten der Region des Mittleren Ostens keine Rede sein. Man muss von einer Bedrohung durch den Terrorismus sprechen, aber die wird durch die jetzige Politik der Vereinigten Staaten gerade nicht gemindert, sondern auf dramatische Weise erhöht. Die Staaten, um die es geht, sind teilweise schlimme, verachtenswerte Diktaturen, deren Ende für sich betrachtet ein Segen wäre. Aber sie sind keine Bedrohung – jedenfalls nicht für den Westen. Wenn sie jemanden bedrohen, dann die Zukunft ihrer eigenen Bevölkerung.
Gilt das auch für den Irak?
Der Irak liegt sowohl militärisch wie psychologisch vollkommen am Boden. Die bloße Vorstellung, dass Länder wie Iran, Syrien, Pakistan oder wer sonst noch alles auf der „amerikanischen Agenda“ steht, eines mehr oder weniger fernen Tages das Schicksal des Irak erleiden, hat für die Zukunft etwas außerordentlich Bedrohliches an sich. Der Status quo ist nicht gut, aber es wäre denkbar und wünschenswert, statt des Angriffskriegs andere Szenarien zu entwickeln, um mittelfristig zu einer Demokratisierung der Region beizutragen. Im Augenblick ist es doch so, dass die Vereinigten Staaten Diktatoren entweder massiv unterstützen oder sie militärisch zu bekämpfen drohen – Partner oder Schurke, dazwischen gibt es nichts. Zwischen diesen beiden Optionen gäbe es aber eine Menge Platz für Politik.
Wie schätzen Sie die Möglichkeiten der europäischen Regierungen ein, die imperiale Ordnungspolitik der USA zu bremsen?
Es ist gut, dass die Europäer es versuchen, aber ich glaube nicht, dass sie den USA wirklich Einhalt gebieten können. Da vertraue ich schon eher auf die Selbstregulierungsmechanismen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Denn schließlich handelt es sich bei dem politischen System der Vereinigten Staaten um eines, das, so imperial orientiert es auch sein und so verbrecherisch es im Einzelnen immer wieder gehandelt haben mag, letztlich auf einer demokratischen, aufklärerischen Tradition beruht. Darüber hinaus war es immer so – eine der vielen verwirrenden und zugleich interessanten Paradoxien des Landes –, dass die Vereinigten Staaten ihren eigenen langfristigen Vorteil ziemlich brutal verfolgten und zugleich nach innen einen Ausgleich der verschiedenen Interessen des Landes herbeizuführen vermochten. Deshalb sind sie schließlich so mächtig geworden. Amerika ist durch eine ganz eigene, verrückte, aber erfolgreiche Mischung aus Pragmatismus und Idealismus gekennzeichnet.
Kann man angesichts des gegenwärtigen Geschehens tatsächlich von Idealismus sprechen?
Man darf das idealistische Moment nicht unterschätzen, jedenfalls nicht in der breiten Öffentlichkeit. Gefährlich werden könnte der gegenwärtigen Regierung der pragmatische Zug innerhalb der amerikanischen Gesellschaft. Die gegenwärtige Politik Washingtons ist politisch, in Bezug auf die Sicherheit und ökonomisch hochgradig gefährlich für die Vereinigten Staaten. Das wissen sehr viel mehr einflussreiche Leute, als die Wirklichkeit von CNN und Fox TV es uns glauben macht. Heute sehen wir, dass der Widerstand gegen die so genannte Bush-Doktrin nicht nur aus den weit links stehenden Kreisen erwächst, nicht nur aus der „außermedialen“ Opposition, sondern gerade auch aus den Altkonservativen und sogar bis hinein in höhere Militärränge. Das zeigt, dass sich an diesem Grundelement der amerikanischen Gesellschaft nichts geändert hat. Auch die Tatsache, dass der Krieg gegen den Irak kurzfristig keine positiven Auswirkungen auf die amerikanische Wirtschaft zeitigt – abgesehen von einigen kriegsrelevanten Industrien, mit denen die politischen Führungsspitzen der Vereinigten Staaten auch noch verbandelt sind –, sondern ihr stattdessen Gefahren bringt, wird sich über kurz oder lang innenpolitisch niederschlagen.
Rechnen Sie mit zunehmendem Widerstand der amerikanischen Bevölkerung gegen die Kriegspolitik der Bush-Administration?
Ich fürchte, solange der Krieg im Irak andauert, werden sich die Amerikaner aus „patriotischen Gründen“ um die jetzige Regierung scharen. Und damit das so bleibt, wird Bush weitere Krisen in der Region initiieren. Denn solange das Feuer brennt, wärmt es auch. Das heißt, die Regierung Bush kann mit relativ breiter Unterstützung der amerikanischen Bevölkerung rechnen, solange es ihr gelingt, eine Art von Ausnahmezustand aufrechtzuerhalten, jedenfalls solange die Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Situation zwar gefährlich ist, die Regierung sie aber unter Kontrolle hat. Ein militärisches oder humanitäres Fiasko würde dem natürlich einen Strich durch die Rechnung machen. Ähnliches spielt sich im israelisch-palästinensischen Konflikt ab: Seit dem Amtsantritt von Scharon wird dieser Konflikt gezielt am Leben erhalten. Sobald einmal zwei oder drei Wochen lang Ruhe herrschte, führten die Israelis so genannte Liquidierungen auf palästinensischem Gebiet durch, was dann den palästinensischen Terror immer wieder neu entfachte. Auf diese Weise wird der Gewaltmechanismus durch extremistische Politikansätze am Laufen gehalten.
Welche Bedeutung messen Sie Israel im nah- und mittelöstlichen Konfliktkomplex bei, insbesondere unter dem Aspekt seiner engen Bindung an die USA?
Wir haben es hier mit einem der langfristig verheerendsten Aspekte dieses Konfliktkomplexes zu tun. Für die neokonservativen Denker und Strategen der USA spielt Israel eine eminent wichtige Rolle. Viele von ihnen sind selbst Juden. Doch entstammen sie nicht dem bekannten liberal-jüdischen Spektrum, das Israel zwar immer unterstützt, sich insgesamt aber einem Ausgleich mit den Palästinensern nicht verschließen würde. Diese Leute sind als Verfechter einer radikalen, extremistischen Politikauffassung hervorgetreten, die nicht an einen Ausgleich glaubt, sondern nur an die eigene Macht. Es hat also nichts mit dem amerikanischen Judentum in seiner Gesamtheit zu tun, sondern es ist eine radikale Minderheit. Aber in der Außenwahrnehmung – und speziell im Nahen Osten – wird das nicht unterschieden. Dort glaubt man, Opfer einer „jüdischen Verschwörung“ zu werden.
Und was folgt aus einem solch fatalen Verdacht?
Die Folge ist ein Anwachsen antijüdischer Tendenzen und Stimmungen: Amerika wird zunehmend mit einer proisraelischen, jüdischen Politik identifiziert. Wenn sich die amerikanische Politik in so starkem Maße über Israel definiert, wie es bei den neokonservativen Denkern zu beobachten ist, dann wird der Boden zerstört, auf dem Verständigung und Kooperation zwischen Israel und den Arabern wachsen könnten. Die gegenwärtige amerikanische und die israelische Politik erscheinen mir wie ein konzertiertes Programm zur jahrzehntelangen Aufrechterhaltung des Nahostkonflikts sowie zur Förderung und Ausweitung des Terrorismus.
Ohne Zweifel kommen die ordnungspolitischen Pläne der USA einer politischen Entmündigung der Länder in der Region gleich. Wie werden die betroffenen Staaten und ihre Gesellschaften darauf reagieren?
Selbstverständlich ist das zu erwartende Anwachsen des Terrorismus eine Reaktion darauf. Schon allein deshalb, weil politisch so schwach formierte Gesellschaften einem militärischen Vorgehen gegen sie politisch nichts entgegenzusetzen haben. Insofern bietet der Terrorismus, auch wenn er letztlich keine Änderung oder Umkehrung der eingetretenen Verhältnisse zu bewirken vermag, ein Fanal. Mittelfristig – und möglicherweise sogar langfristig – dürfte die von Washington anvisierte „Neuordnung der Region“ den Charakter einer Art von Besatzung annehmen mit allen daraus resultierenden Folgen. So wird man sich als Westler, auch als Europäer, eines Tages vielleicht nicht mehr so frei wie bisher in den Straßen von Kairo, Teheran oder anderen Städten dieser Region bewegen können, weil die Feindschaft der Menschen gegenüber dem Westen in einem beängstigenden Maße zunehmen wird. Anfänge lassen sich bereits beobachten, wie verschiedene Morde, speziell an Amerikanern, dokumentieren.
Wird also Samuel P. Huntingtons These vom „Clash of Civilizations“ Wirklichkeit werden?
Ich gehöre nicht zu den Anhängern von Huntingtons Theorie, aber ich halte auch den so genannten interkulturellen Dialog für kein sehr kluges Paradigma, weil es Entitäten behauptet und zementiert, die in der Realität so eindeutig nicht existieren. Die Gesellschaften sind nämlich sehr viel mehr ineinander verflochten, und die Linien ziehen sich sehr viel mehr durch die Gesellschaften hindurch, als es oft den Anschein hat. Zu wem gehören etwa die säkularen Mittelschichten und Intellektuellen im Nahen Osten? Oder: Zu wem gehören die vielen Christen im Nahen Osten, die muslimischen Bürger Europas? Wie ist der scharfe Antiamerikanismus in Lateinamerika oder Fernost einzuordnen? Hat die christliche Rechte in Amerika nicht viel mehr gemein mit dem islamischen Fundamentalismus als mit den säkularen Ideen der Aufklärung, zu denen sich Menschen mit den unterschiedlichsten religiösen und kulturellen Hintergründen bekennen? Sind die türkische und die iranische Reformbewegung, die sich eine echte Demokratisierung und Einbettung der Religion in ein säkulares Staatswesen wünschen, nicht näher an Europa, als es das Amerika von George W. Bush ist? Die jetzige Krise zeigt doch ganz deutlich, dass es „den“ Westen nicht gibt. Und genauso wenig gibt es „die“ islamische Welt. Die Linien verlaufen mitten durch die Kulturen. Insofern stellt sowohl das Paradigma vom „Clash of Civilizations“ als auch das positiv gedeutete vom „Dialog der Kulturen“ eine Karikatur dar.
Dennoch bestimmen sie das politische Denken – und Handeln …
Genau darin liegt das Problem, dass sich diese Paradigmen, wenn auch als Phantasmen, in politisches Handeln umsetzen. Da mögen die gesellschaftlichen Realitäten so kompliziert und so ineinander verwoben sein, wie sie wollen – in der Weise, wie Politik bestimmt wird, spielen dann solche Kategorien wie „der Westen“, „der Islam“ usw. in den Köpfen der Menschen eine verheerende Rolle. Wenn Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi von der „Eroberung des Islams durch den Westen“ spricht oder Ussama Bin Laden den Angriff auf „den Westen“ proklamiert, dann fühlt sich die jeweilige Öffentlichkeit natürlich herausgefordert und reagiert entsprechend. Die Anschläge vom 11. September waren offensichtlich als Angriff nicht auf einen einzelnen Staat, eine einzelne Regierung, sondern als Angriff auf „den Westen“ gedacht, und so wurden sie in der westlichen Welt denn auch verstanden, wobei „der Westen“ mit dem „christlichen Westen“ gleichgesetzt wurde. Dass auch Muslime ein Teil dieses Westens sein könnten, kam offensichtlich niemandem in den Sinn.
Würden Sie die gegenwärtige Politik der USA im Nahen und Mittleren Osten als neokolonialistisch bezeichnen?
Sie hat neokolonialistische Züge, einschließlich des Topos von der Zivilisierung der Barbaren. Allerdings war es auch im früheren Kolonialismus nicht so, dass sich die von ihm betroffenen Gesellschaften massiv dagegen gewehrt hätten. Die muslimischen Gesellschaften und ihre Eliten reagierten sogar auffallend schwach auf diese Herausforderung, und so verlief die kolonialistische Ära aus westlicher Sicht relativ glatt. Sie ging zu Ende, nicht weil der Widerstand in den Kolonien so stark wurde, sondern weil sich zu Hause die Ermattung, die wirtschaftliche Erschöpfung und das Desinteresse an den Kolonien verstärkten. Auch die jetzige neokolonialistische Herausforderung durch die USA dürfte nur geringfügigen Widerstand auslösen. Denn nach wie vor sind die muslimischen Gesellschaften und Eliten schwach. Eher wird es zu einer Überforderung der Vereinigten Staaten kommen, weil selbst deren militärische und ökonomische Ressourcen begrenzt sind und die Amerikaner sich fragen werden, was sie denn da draußen, in Ländern, deren Namen die meisten kaum auzusprechen vermögen, zu suchen haben.
Nun haben Sie aber gerade die Schwäche und militärische Ohnmacht der muslimischen Gesellschaften als wesentliche Ursache des Terrorismus identifiziert. Müssen wir auf ein Anwachsen der terroristischen Gewalt gefasst sein?
Die unmittelbare Antwort der Schwachen wird unter anderem im Anwachsen von Fundamentalismus und Terrorismus bestehen. Dies ist keine selbstbewusste Antwort, sondern eine, die ihren Ursprung im eigenen Versagen hat. Die Möglichkeiten, durch terroristische Aktionen dem Gegner eine hohe Zahl von Menschenopfern abzuverlangen, sind allerdings heute beträchtlich größer als Ende des 19. und zu Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Briten und Franzosen den Nahen Osten beherrschten. Sollte die jetzt von den USA eingeschlagene Politik, die extremistisch zu nennen ich mich nicht scheue, über die jetzige Amtszeit von George W. Bush fortgesetzt werden, wird die Welt binnen kürzester Frist an einer großen Wegscheide angelangt sein mit prekären Auswirkungen auch auf den gesamten Westen. Diese Auswirkungen werden uns dann möglicherweise so lange beschäftigen, wie uns der Kalte Krieg zwischen Ost und West beschäftigt hat.
Das heißt, das Konfliktpotenzial erhöht sich auf unabsehbare Zeit …
Es erhöht sich, es divergiert. Am Ende könnten weite Teile der Welt nicht mehr beherrschbar sein, und man wird sie sich selbst überlassen. Ich vermute sogar, dass nicht einmal Europa und Amerika vollständig als „Ghetto“ aufrechtzuerhalten sein werden, sondern es wird zu Ghettobildungen selbst innerhalb dieser Kontinente kommen. Manchen Schilderungen zukünftiger Welten aus Science-Fiction-Filmen meiner Jugendzeit sind wir inzwischen in der Realität schon ziemlich nahe gekommen.
In Ihrem Buch schreiben Sie vom Versagen der Kultur des Islam, die sich ohne Zweifel in ihrer tiefsten Krise befindet, seit es sie gibt. Wird sich an dieser „Krankheit des Islam“, um mit Abdelwahab Meddeb zu sprechen, Ihrer Meinung nach in absehbarer Zukunft etwas Entscheidendes ändern? Gibt es Anzeichen für ein „neues Denken“ in der islamischen Welt?
Solche Tendenzen sind in der Tat feststellbar. Aber diese Entwicklung wird nicht einheitlich verlaufen. In einigen Ländern werden sich diese Tendenzen stärker ausbilden, in anderen werden sie schwächer sein. Das hängt von sehr vielen, auch äußeren Faktoren ab. Entweder erneuern sich die Orthodoxien grundlegend, oder sie verlieren jedwede Relevanz. Im Grunde haben sie ihre Relevanz bereits verloren. Denn der Terrorismus ist durchaus als Reaktion auf den Verlust dieser Relevanz erklärbar. Die Orthodoxien – speziell in der arabischen Welt – sind nicht mehr in der Lage, den Menschen vernünftige Antworten auf die gegenwärtigen Probleme zu geben. Eine Antwort auf die Irrelevanz der Orthodoxien ist unter anderem der so genannte Fundamentalismus, der gerade nicht von den Orthodoxien stammt, wie im Westen oft fälschlicherweise angenommen wird, sondern in Laienkreisen entstanden ist. Ich sehe durchaus Ansätze für ein „Umdenken“, oder ein „neues Denken“ einschließlich konkreter politischer und gesellschaftlicher Reformen. Wenn man diese Ansätze auf die günstigste und effektivste Art behindern oder zunichte machen möchte, dann geschieht das mittels der gegenwärtigen amerikanischen Politik. Wenn westliche Politiker davon reden, den Islam „erobern“ zu wollen, und damit drohen, ein islamisches Land nach dem anderen mit Krieg zu überziehen, dann sind das nun einmal keine guten Voraussetzungen für die islamischen Gesellschaften und ihre Theologien, sich selbst in Frage zu stellen, die eigene Kultur zu kritisieren und neu zu denken.