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Archiv-Artikel

Jenseits des Rubikon

Erneut Gewalt an Niedersachsens Berufsschulen: In Hannover wurde 16-Jährige misshandelt und 17-Jähriger mit Gummihammer geschlagen

von KAI SCHÖNEBERG

Angefangen hatte es mit verbalen Attacken. Irgendwann im Oktober vergangenen Jahres haben fünf Schüler der Berufsbildenden Schule (BBS) 6 in Hannover jedoch „den Rubikon überschritten“, wie Schulleiter Christian Postel gestern sagte. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen die 16- und 17-Jährigen.

Der Grund: Ein Schüler des Berufsgrundbildungsjahres soll seit Oktober eine 16-Jährige Mitschülerin in einem Werkraum während des Unterrichts misshandelt haben – Postel spricht von „Handgreiflichkeiten im Brustbereich des Mädchens“ und der „Simulation einer Vergewaltigung“. Gleichzeitig kam heraus, dass vier Schüler derselben Klasse einen 17-Jährigen mehrfach und ebenfalls seit Monaten unter anderem mit einem Gummihammer geschlagen haben sollen.

Damit erschrecken Niedersachsens Berufsschulen innerhalb einer Woche schon mit der zweiten Horrormeldung: Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass in Hildesheim ein Schüler in der Klasse gequält und dabei gefilmt worden war (taz berichtete mehrfach). Auch hier ermittelt die Staatsanwaltschaft.

Die jetzt verdächtigen Schüler aus Hannover waren am Montag vorläufig festgenommen worden. Für einen Haftbefehl habe es keine ausreichenden Gründe gegeben, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Es gebe aber Anhaltspunkte, dass andere Schüler von den Gewalttaten wussten, „unter Zwang aber dichthalten mussten“. Immerhin entschuldigten sich die Verdächtigen inzwischen, sagte die Sozialpädagogin der Schule, Anette Pundt. Die Beschuldigten wurden bis zur Klärung der Vorfälle vom Unterricht ausgeschlossen.

Aufgefallen waren die Misshandlungen nur, weil die Schülerin nicht mehr regelmäßig zum Unterricht erschienen war. Erst im Gespräch mit Sozialpädagogin und Schulleiter am vergangenen Freitag „wurde deutlich, dass das eine andere Dimension hat“, sagte Postel. Er schloss nicht aus, dass sich die Lehrer durch Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht „möglicherweise nicht richtig verhalten haben“. Als Konsequenz will er zukünftig Videokameras zur Überwachung der Schulräume installieren.

Jugendliches „Potenzgehabe“ und Gewalt seien an der BBS 6 mit ihren insgesamt 1.200 Schülern seit langem ein Thema – aber nicht in dieser „strukturellen“ Form, „nur um der Gewalt willen“, betonte Postel. „Das macht ihr Erwachsenen uns doch vor“, würden die Jugendlichen sagen. Die „Kultur des Wegschauens“ bereite ihm große Sorge.

Bestrafung sei in der Auseinandersetzung mit Gewalt nie Erfolg versprechend. Die Zukunftsaussichten für Jugendliche in Hannover seien jedoch derzeit „außerordentlich schlecht“. Postel: „Die Belohnung durch einen Ausbildungsplatz haben wir heute leider nicht mehr.“