: Bukowina Blues
„Dieses Jahr in Czernowitz“ (Forum): Volker Koepp sucht mit Harvey Keitels Hilfe nach einer versunkenen Welt
Nostalgie lebt vom Ungefähren, vom Tagtraum, nicht von der Erfahrung. Konfrontiert man sie mit der Wirklichkeit, zerfällt sie. Sie wird lächerlich.
Harvey Keitel ist ein Nostalgiker. Seine Eltern wanderten einst von Czernowitz in die USA aus. Czernowitz gehörte in glücklicheren, lange vergangenen Tagen zur k. u. k. Monarchie. Es wurde von Hitlers und Stalins Soldaten heimgesucht. Es wurde rumänisch, sowjetisch, heute ist es ukrainisch. „Czernowitz“ ist ein Wort, umweht von der Aura des Versunkenen. Bei „Czernowitz“ denkt der gebildete Mitteleuropäer nicht an Plattenbauten, sondern an Paul Celan und Joseph Roth.
Einmal sehen wir Harvey Keitel in den Straßen von Czernowitz. Ein Führer erzählt ihm von der guten alten k. u. k. Zeit, und Keitel sagt: „Ich vermisse es, obwohl ich es gar nicht kenne.“ Ein Bild wie ein Klischee: der US-Tourist in Europa auf der Suche nach seinen Wurzeln. Keitel redet viel und sehr begeistert von Dingen, über die er wenig weiß. Mit Keitel, der für so etwas wie Glamour sorgen soll, hält ein touristischer Blick Einzug, der mehr als nur stört. Denn im Zentrum der Dokumentarfilme von Volker Koepp steht die Suche nach dem unverstellten, wahrhaftigen Moment, in dem eine Figur und ihre Geschichte sichtbar werden. Diese Szenen sind das Kraftzentrum der Koepp-Filme. Keitels touristische Selbstinszenierungen sind das exakte Gegenteil.
Es gibt leuchtende Momente auch in „Dieses Jahr in Czernowitz“. Etwa wenn Johann Schlamp, 89 Jahre alt und vielleicht der letzte Deutsche in Czernowitz, das heute Tscherniwzi heißt, auf der Straße ein Opperettenlied anstimmt. Oder wenn der Schriftsteller Norman Manea redet, der als Kind im KZ war und nun an der Ostküste der USA Literatur lehrt. Manea spricht perfekt Deutsch und Englisch, aber schreiben, sagt er, kann er nur auf Rumänisch. Dann schaut er verloren in die Kamera und beginnt, wie in einem inneren Monolog, rumänisch zu reden. Ein Moment, in dem eine Erfahrung zum Ausdruck kommt: der Verlust, den Emigration bedeutet; das Gegenbild zu Keitels Phantomschmerz.
Koepp sucht, wie schon im Ostpreußen-Film „Kalte Heimat“, nach der im Terror des Totalitarismus verschwundenen ostmitteleuropäischen Kultur. Es ist eine weite Suche: Sie führt nach Berlin, Wien, New York. Das dramaturgische Gewebe hat dabei viele Löcher. Auch daran mag es liegen, dass „Czernowitz“ nie den suggestiven Rhythmus gewinnt, der „Kalte Heimat“ auszeichnete.
Viele der Figuren scheinen eigens für diesen Film nach Czernowitz zu reisen. Da sitzen sie etwas ratlos in Cafés und suchen verloren nach den Häusern, in denen einst ihre Eltern und Großeltern lebten. Doch die Vergangenheit ist weder durch Reden noch durch die Reise wieder zum Leben zu erwecken. In seinen besten Augenblicken zeigt „Czernowitz“, wie der Versuch scheitert, das zerstörte Vergangene wieder zum Sprechen zu bringen. Würde dieser Versuch gelingen, es wäre Kitsch.
STEFAN REINECKE
Heute, 19.30 Uhr, Babylon