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Archiv-Artikel

Sofort das Lachen einstellen

Die Täter leben unter uns: Romuald Karmakar besucht in seinem Wettbewerbsbeitrag „Die Nacht singt ihre Lieder“ das Konzentrationslager der Kleinfamilie in Berlin-Mitte

Romuald Karmakar nennt seine Arbeiten „Täterfilme“. Der „Totmacher“ handelte vom Serienmörder Haarmann, im „Himmler-Projekt“ ließ er Manfred Zapatka eine Rede vor SS-Generälen halten, und in „Manila“ ging es um deutsche Sextouristen. Bilder gibt es nur wenige. Karmakars Täter reden, während die Kamera ihre Gesichter in Großaufnahme zeigt. Er ist oft dafür gelobt worden, dass er mit sparsamen Mitteln zum Kern der Gewalt vorstößt: zur Sprache.

Für den Spielfilm „Die Nacht singt ihre Lieder“ hat Karmakar sich nun zwei anonymen Tätern gewidmet. Ein junger Mann (Frank Giering) und eine junge Frau (Anne Ratte-Polle) leben mit ihrem Baby in Berlin-Mitte – und quälen sich gegenseitig. Er ist ein erfolgloser Schriftsteller, der sie vom Sofa aus mit seiner Depression terrorisiert. Und sie legt den Finger auf seine Wunden: „Vielleicht solltest du aufhören, zu schreiben“, sagt sie, als wieder eine Ablehnung kommt. Er sieht danach so stumm auf die Tischplatte, dass auch sie sich gleich wieder schlecht fühlt. Jedem das Seine: Das ist das Konzentrationslager der Kleinfamilie.

Hier kommt keiner raus. Die nur an wenigen Stellen durchbrochene Kammerspielsituation verweist auf die Grundlage für das Drehbuch, ein deprimierendes Theaterstück des Norwegers Jon Fosse. Karmakar möchte die beengte Situation und die latente Aggressivität des Paares für eine weitere Gewaltstudie nutzen, doch er verliert beeindruckend schnell die Kontrolle über seine gewohnten Mittel. Die langen Einstellungen auf Frank Gierings unabänderlich trauriges Gesicht, die für den Hallraum einer Theaterbühne gemachten endlosen Wiederholungen der Beziehungsstreit-Floskeln und die geradezu groteske Ausweglosigkeit der Situation führen dazu, dass „Die Nacht singt ihre Lieder“ schon nach einer halben Stunde wie die Parodie eines Bergmann-Films wirkt.

Ganz lustig, wenn man so will.

Doch Kamarka meint es leider ernst. Kein Witz. Während das Publikum bei der Vorführung immer wieder in hysterisches Gelächter ausbrach, war es auf der Pressekonferenz mit dem Spaß vorbei. Kamarka bekam einen Wutanfall. Die schlechten amerikanischen Produktionen, brüllte er die Journalisten an, seien schuld, dass sich in Deutschland niemand mehr ernsthaft auf einen anständigen Film einlassen will. – Amerikaner sind als Täter natürlich höchst willkommen. KOLJA MENSING

Heute, 12 Uhr und 21 Uhr, Royal Palast; Sonntag, 9.30 Uhr, Berlinale Palast