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: Der Leib wird nicht mehr gesalbt

Was bleibt vom Tyrannen, wenn die Macht ihn verlässt? Zu Adoor Gopalakrishnans Drama „Rat-trap“ („Elippathayam“) von 1981

Mit Geschrei in der Nacht beginnt dieser Film. Mit Geschrei und aufgeregter Musik und Gerenne in Schlaglicht und Dunkel: Es ist eine Ratte im Haus. Sridevi (Jalaja), die jüngste Bewohnerin, holt die Rattenfalle aus einem hinteren Winkel, legt ein Stück Käse hinein und stellt sie auf. Am Morgen ist eine Ratte gefangen und wird im Fluss ertränkt. Zum Gang durch den Wald auf dem Weg hinunter zum Fluss kreischt die Musik. Sonst bleibt sie meist aus.

Die wahre Ratte jedoch, man begreift es nach und nach, ist Unni (Karamana), der Mann, mit dessen Geschrei der Film erst begann. Er ist der letzte männliche Erbe einer Feudalfamilie, der nun jedoch, nach dem Ende der Herrschaft, im immer noch noblen Anwesen ganz auf sich gestellt ist, auf sich und drei Schwestern. Die älteste, längst verheiratet, kommt später vorbei und will ihren Anteil an Hab und Gut. Die jüngste, Sridevi, geht noch zur Schule, schreibt Tagebuch und wird später auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Die mittlere Schwester aber, Rajamma (Sharada), erweist sich als Dulderin. Sie erträgt die Launen des Bruders, sie erhitzt ihm das Wasser, in dem er badet, sie lässt ihn schlafen, wenn er wieder, was er mit Vorliebe tut, bis weit in den Tag hinein schläft.

Unni, der zunächst einmal nur unausstehlich ist, sitzt in der Falle. Er ist ein Tyrann, dessen Tyrannei sich zerstörerisch gegen alles in seiner Nähe wendet. Am zerstörerischsten aber gegen ihn selbst. Der Tyrann Unni ist ein Narziss und ein Feigling. Er salbt sich den Leib, er stutzt sich den Bart. All das sehen wir zu Beginn. Dann aber zersetzt sich die Macht, die ihm die Tradition gibt, die Macht, die ihm die mittlere Schwester, Dienerin ihres Bruders und Herrn, als letzte zu dominierende Figur noch verlieh.

Und diese Zersetzung schildert Adoor Gopalakrishnans 1981 entstandener Film ohne die leiseste Gnade. Als Rajamma, die eine Schwester, ernstlich erkrankt und Sridevi, die andere Schwester, einfach verschwindet, bleibt er als Wrack, als leere Hülle einstiger Fülle elend zurück. Er salbt sich nicht mehr den Leib, er stutzt sich nicht mehr den Bart und die Haare, er wagt sich nicht mehr aus dem Haus. Als Mann ohne Macht, als Mann ohne Bezug zu Gesellschaft und anderen Menschen, als in sich selbst gestürzter Tyrann ohne Einfluss, rottet er, die Ratte nun in der Falle, vor sich hin.

Adoor Gopalakrishnan, 1941 geboren, gilt vielen als der bedeutendste heute arbeitende indische Regisseur, als würdiger Nachfolger des Bengalen Satyajit Ray. Dabei kam der im indischen Südstaat Kerala arbeitende, in der dort gesprochenen Sprache Malayalam drehende Gopalakrishnan eigentlich vom Theater und gelangte durch Zufall eher zum Film. Man sieht diese Herkunft seinem scharfen Blick für die Stellung der Figuren im Raum deutlich an. Jede Einstellung ist durchkomponiert, und doch wird das nie statisch. Er bewegt die Kamera stets mit Bedacht, aber gar nicht bedächtig. Sie und die gelegentlich brutal sprunghafte Montage sind für ihn Instrumente, mit denen er die Beziehungen zwischen Personen, aber auch die Verhältnisse von Menschen und Dingen mit größter Genauigkeit analysiert.

Klar und trocken sind die Metaphern und die Symbole, die hier gar nichts verrätseln. Bedeutung erlangt jede Bewegung, jedes Bild vielmehr durch genaue Verortung: im Gesellschaftspolitischen, im Sozialen, im vom Film entworfenen Raum-und-Zeit-Bild.

„Rat-trap“ war Gopalakrishnans dritter Spielfilm, der erste in Farbe. 1982 zeichnete ihn das British Film Institute als „originellsten und imaginativsten Film des Jahres“ aus. Das britische Label „Second Run“ veröffentlicht ihn nun auf einer DVD, die als sehenswertes Extra ein aktuelles Gespräch mit dem Regisseur enthält. EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist für umgerechnet rund 11 Euro in England etwa bei www.amazon.co.uk erhältlich