piwik no script img

Archiv-Artikel

Arme von der Tafel vergrault

Die Stadt Bochum kürzt Hilfebedürftigen die Sozialhilfe, wenn sie von der Wattenscheider Tafel Essen beziehen. Laut Sozialamt sind das Einzelfälle – zum Gratis-Essen trauen sich trotzdem immer weniger

von Miriam Bunjes

Irina Rehma stopft Möhren und Kartoffeln in ihre Plastiktüte. „Für meine Kleinen“, sagt die 53-jährige Sozialhilfeempfängerin. „Ich bin doch immer so knapp mit meinem Geld.“ Ihre Stimme klingt entschuldigend. Und das ist auch kein Wunder: Seit einigen Woche haben die Kunden der Wattenscheider Tafel Angst um ihr weniges Geld.

Die Lebensmittel werden auf die Sozialhilfe angerechnet, heißt es. Und dann gibt es fast 160 Euro weniger.

Wolfgang Latzel ist genau das passiert. 20 Euro pro Essenstüte wollte ihm ein Sozialamtsmitarbeiter abnehmen – mit der Begründung, dass er dieses Geld schließlich nicht mehr für Essen ausgeben müsse. Der arbeitslose Kraftfahrer, der seit Jahren ehrenamtlich bei der Wattenscheider Tafel aushilft, wehrte sich gegen den Beschluss. „Wir haben eingesehen, dass da ein Fehler vorliegt und das Ganze rückgängig gemacht“, sagt Sozialdezernentin Sophie Graebsch-Wagner. „Das war aber ein Einzelfall.“

Bei der Wattenscheider Tafel zweifelt man an dieser Darstellung. „Seit Wochen kommen immer weniger Menschen zu unserer Essensausgabe - sogar in Stadtteilen, in denen besonders viele Arme leben“, sagt Jürgen Pommeranz. „Irgendwann haben wir angefangen, die Leute nach den Gründen zu befragen.“

Man habe im Sozialamt ihre Lebensmittelkarten von der Tafel kontrolliert, berichten zahlreiche Hilfeempfänger. „Diese Leute sind jetzt davon überzeugt, dass sie im nächsten Monat weniger bekommen, wenn sie weiter bei uns essen“, sagt Jürgen Pommeranz.

„Bei uns werden Sozialhilfeempfänger nicht über die Wattenscheider Tafel befragt“, sagt Sophie Graebsch-Wagner. Und auch die SPD-Oberbürgermeister-Kandidatin, Ottilie Scholz ist sich sicher: „Die Stadt Bochum unterstützt die Arbeit der Wattenscheider Tafel in jeder Hinsicht.“ Außerdem gebe es die Dienstanweisung, das Essen des gemeinnützigen Vereins nicht auf die Stütze anzurechnen.

Allerdings gibt es eine Vorgeschichte: Vor dreieinhalb Jahre wurde den Tafel-Kunden schon einmal die Sozialhilfe gekürzt. Damals wurde das Amt von OB Stüber zurückgepfiffen.

„An diesen Beschluss halten wir uns weiterhin“, verspricht die Sozialdezernentin. „Das können wir jetzt wohl verbindlich unter unseren Kunden verbreiten“, sagt Manfred Blaasner. Auch in der Nachbarstadt Essen trauten sich bereits weniger Menschen zum Gratis-Essen der Essener Tafel.