: Rettet das Divis!
Es tut so weh: Die Deutschen verbannen den Bindestrich aus ihrer Schriftsprache
Treff Punkt. Shell Studie. Beim Schuster sogar: Gummi Sohlen. Was fällt auf? Vermutlich nichts mehr, denn seit einigen Jahren prangt an Stellen, wo die deutsche Rechtschreibung, ob alt oder neu, sinnvollerweise einen koppelnden Bindestrich verlangt, flächendeckend die große Leere. Für den Hamburger EDV-Berater und Hobbysprachpfleger Philipp Oelwein war dies Grund genug, einen vom griechischen Wort für Leere/Platz (Agora) abgeleiteten Begriff für die Absenz des Divises (Bindestrich) einzuführen: Agovis. Längst führt er eine Homepage (www.agopunktion.de/agovis01.php), auf der er diesen Agovis nicht nur anprangert, sondern auch eine Fülle von schockierenden Beispielen präsentiert. Jüngster Fall in seiner Auflistung: „Ringel Blumen Salbe“ – gesehen auf einer Tube mit selbiger.
Der Agovis ist täglich unter uns. Und wer es mit den Regeln der deutschen Schriftsprache ernst nimmt, vermutlich eine schwindende Minderheit, dem muss es ein ums andere Mal wehtun, wenn etwa Udo Lindenberg mit dem Programm „Panik Power“ tourt, wenn Kraftwerk einen Titel „Elektro Kardiogramm“ nennen, ein Film „Kalender Girls“ heißt, wenn ein Radiosender den „Märchen Marathon“ ankündigt oder wenn man in Köln an der „Konrad Adenauer Kaserne“ vorbeifährt.
Findet es eigentlich noch jemand paradox, dass man im Hamburger Stadtteil Altona in Bahnhofsnähe zum einen auf das Schild „Bahnhof Altona“ blickt, während man noch vor der (dem?) „Bahnhof Apotheke“ steht? Der Fehler bleibt beileibe nicht auf Hobby-Texter, die Reklame für ihren „Friseur Salon“, die „Auto Werkstatt“ oder einen „Traum Urlaub“ machen, beschränkt. Auch innerhalb der professionellen Schar der Werbenden ist die Leertaste sehr viel beliebter als die mit dem Bindestrich. Dass tatsächlich zwischen „Service-Qualität“ und „Service Qualität“ ein logischer Unterschied besteht, wird kaum noch jemandem bewusst. Im ersten Fall ist die Qualität des Services gemeint. Und obwohl die Autoren auch bei der zweiten Schreibweise diesen Sinn im Kopf haben, bezeichnet die Wortfolge Service Qualität die Qualität als eine Leistung, eben einen Service.
Ein schönes Beispiel für die Sinnhaftigkeit des Bindestrichs zeigt das Zitat einer Kölner Goldschmiedin, die bekennt, dass sie „zum Luxus Schmuck“ durchaus stehe. Hier wird klar, dass An- bzw. Abwesenheit eines Bindestrichs tatsächlich den Sinn verändert, denn zum „Luxus-Schmuck“ steht besagte Juwelierin eben genau nicht.
Dass die Vereinzelung eigentlich zusammengehöriger Substantive „nur ein Spiegel der auch in der menschlichen Gesellschaft stattfindenden Atomisierung“ ist, wie die Kölner Germanistin Katja Nau mutmaßt, ist bisher allenfalls eine interessante These. Klar ist auf jeden Fall: Selbst in der professionellen Journaille verschwimmen die Kenntnisse mehr und mehr. Nicht nur dann, wenn eine Hörfunk-Wissenschaftssendung auf ihrer Homepage Berichte über das „erste Klon Pferd“ oder einen „Krebs Kongress“ ankündigt.
Deutlich wird die schwindende Regelkenntnis auch bei der Kopplung eines neuen Wortes an eine ganze Wortgruppe. Im Deutschen verlangt das – logisch durchaus nachvollziehbar – einen Bindestrich zwischen jedem der beteiligten Wörter. Demnach heißt es zum Beispiel Tour-de-France-Gewinner. Immer üblicher wird dagegen eine Schreibweise à la „Tour de France-Gewinner“ – was streng genommen eine Tour der Frankreichgewinner wäre. Dieser Fehler findet sich inzwischen in allen Gazetten der Republik und ist selbst in den überregionalen Qualitätsblättern eher die Regel als die Ausnahme. Die Zeitschrift für Fußballkultur, 11 Freunde, bot zum Jahresende ihren „11 Freunde-Kalender“ an – als ob es elf Kalender gäbe. In einer Pressemeldung des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum war von einem „Round Table-Gespräch“ die Rede – als wenn das Tischgespräch rund wäre. Beispiele gibt es zahllose: Man liest über „Doppelte Boden-Technik“, das IG-Medien-Magazin M wähnt eine „IG Metall-Krise“ (als wenn sich nun eine IG zur Krise geformt hätte), das Robert-Koch-Institut in Berlin nennt sich selbst „Robert Koch-Institut“, die Ärzte Zeitung spricht gern vom „Managed Care-Konzept“ und so weiter.
Dass die künftigen Schulabgänger noch etwas von den eigentlichen Regeln beherrschen, um vielleicht noch einmal gegenlenken zu können, muss leider bezweifelt werden. Wo sollten sie es herhaben? Selbst das Dachgremium aller Schulen, die Kultusministerkonferenz, begrüßt Besucher auf ihrer Homepage (www.kmk.de) mit „Kultusminister Konferenz“, wie Philipp Oelwein mehr resigniert als belustigt registriert. Weder der Sprachwächter per se, der deutsche Dudenverlag in Mannheim, noch das am selben Ort angesiedelte Institut für Deutsche Sprache scheinen der um sich greifenden Seuche derzeit etwas entgegensetzen zu wollen. Ohnehin gibt der Duden wenig Anlass zur Hoffnung. Eine soeben erschienene Neuauflage aus seinem Hause heißt laut Buchdeckel: „Das große Vornamen Lexikon“.
KARL HÜBNER