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Archiv-Artikel

Wundersames und Friedvolles

„Sometimes Happy, Sometimes Sad“ ist ein Bollywood-Epos der Superlative. Karan Johars Film hat prächtige Tanzszenen, üppige Interieurs, hitverdächtige Lieder und viele Stars. Doch ein Hauch von Selbstkarikatur dringt wie ein Giftspritzer in die Welt der großen, reinen Bollywood-Liebe

Die großen Stars sind damit beschäftigt, ihre erfolgreichen Rollen zu zitieren

von DOROTHEE WENNER

Kurz bevor „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ in Indien ins Kino kam, hätte man den Film für eine radioaktive Sprengladung oder ähnlich Brisantes halten können. Keine Post, kein Kurierdienst durfte die ersten Ansichtskassetten transportieren, nur engste Familienangehörige des Produzenten galten als vertrauensvoll genug, um mit der heißen Ware im Handgepäck in London und New York den Kinostart außerhalb des Landes vorzubereiten.

Der Grund war nachvollziehbar: „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ war von Anfang an ein Bollywood-Epos der Superlative. Nie zuvor war ein Film mit größerem Budget produziert worden, niemals waren so viele Stars der so genannten „Triple-A“-Kategorie gemeinsam auf der Leinwand zu sehen gewesen. Folglich waren zwischen Bombay, Saudi-Arabien und den USA die Kopiermaschinen schon heiß gelaufen, lange bevor irgendein Mensch außerhalb des Yash-Raj-Filmimperiums das dreieinhalbstündige Werk überhaupt gesehen hatte. Und, ja: Die Aufregung hat sich gelohnt, der Film wurde ein Superhit, in Indien läuft er in einzelnen Kinos schon seit über einem Jahr.

In „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ geht es um eine enorm reiche und ebenso glückliche Familie. Der graumelierte Superstar Amitabh Bachchan steht seinem Clan und seiner Weltfirma mit paternalistischer Strenge vor. Dafür wird er von allen bewundert, geliebt und verehrt – allen voran von seinen beiden Söhnen. Diese wiederum sind die beiden sehr gut aussehenden Topstars der Bollywood-Galaxie: Hritik Roshan als Rohan und Shah Rukh Khan als Rahul. Rohan, der etwas muskulösere jüngere Bruder, gewinnt zu Beginn des Films erst mal ein wahnsinnig wichtiges Cricket-Match und fährt dann in einem riesigen, roten Sportwagen vor dem Familienschloss vor. Rahul, der charmantere ältere Bruder, lässt sich als Entree von einem Privathubschrauber zwischen Rosenrabatten absetzen, um noch ein paar Meter über Kieswege rennen zu können, bevor er atemlos in Mamas Armen ankommt. Es ist Divali, das Lichterfest, und eine märchenhafte Kerzenpracht im Heim bildet den Hintergrund für Tanzszenen zu einem Song, der gleich beim ersten Hören zum Ohrwurm wird.

Doch man ahnt es, man weiß es schon: An solchen großen Festtagen werden von den indischen Filmeltern gar zu gerne Heiraten arrangiert, die ihre Filmkinder dann gar nicht gut finden. Das ist der Konfliktstoff, den die so genannten „Family-Films“ der indischen Traumfabrik vor allem seit Beginn der 90er-Jahre tausendfach variiert haben. In diesem Fall ist es Shah Rukh Khan, der sich in eine etwas vorlaute Schöne aus der Unterschicht (Kajol Shomu Mukherji) verliebt – und zwar so sehr, dass er ihr zuliebe alles aufgibt. Der gestrenge Vater wollte seinen Adoptivsohn nämlich mit einer anderen vermählen – aber weil sich Rahul dieses eine Mal weigert zu gehorchen, wird er prompt des Hauses verwiesen. Die Kränkung ist so groß, dass das junge Paar das Land verlässt. Sie ziehen nach London, fallen dort auf die Füße und haben auch sogleich einen Sohn, so süß wie aus dem Katalog bestellt.

Doch der Glanz des luxuriösen Lebens kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die vormals so glückliche Großfamilie innerlich zerbrochen ist. Diesseits und jenseits des Suezkanals wird über die Härte des väterlichen Verdikts viel geweint, bevor es nach kompliziertem Hin-und Her, Intrigen, Todesfällen und innerfamiliärer Raffinesse endlich zum obligatorischen Happyend kommt. Doch trotz der Vehemenz, mit der der Film auf die Tränendrüse presst, ist „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ nicht nur traurig. Die Geschichte wird vielmehr so erzählt, dass das indische Publikum von all dem im Übermaß bekommt, wonach es nach landläufiger Produzenteneinschätzung verlangt: das Durchleben einer breiten Palette von Gefühlen. Anders als in der westlichen Tradition wird in Indien von einem Film erwartet, dass er die so genannten neun rasas evoziert: Liebe, Komik, Traurigkeit, Heldentum, Schrecken, Ekel, Wut, Wundersames und Friedvolles.

„Sometimes Happy, Sometimes Sad“ versucht vom ersten Bild an, all diese Erwartungen voll zu befriedigen. Besonders die vom Starchoreografen Farah Khan designten Tanzsszenen im Palast, in Ägypten und in London sind opulent und in jeder Hinsicht sehenswert, die Ausstattung ist perfekt, die Lieder sämtlich hitverdächtig – aber etwas ist bei der ganzen Geschichte auf der Strecke geblieben. Vielleicht die Liebe, um die es ja eigentlich die ganze Zeit geht?

An großen Festtagen arrangieren die Eltern zu gerne die Hochzeiten der Kinder

Die großen Stars scheinen damit beschäftigt, sich nur mehr selbst zu spielen beziehungsweise ihre erfolgreichsten Rollen zu zitieren. Das Traumpaar Shah Rukh Khan und Kajol Shomu Mukherji zum Beispiel hat schon vor „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ einige Male auf der Leinwand geheiratet – und so wirkt die große Liebe, die sie diesmal füreinander entdecken, schon etwas altbacken, noch bevor sie wirklich beginnen wird.

Man braucht die anderen Filme nicht unbedingt gesehen zu haben, um die leichte Abgestandenheit der Gefühle wahrzunehmen: ein Hauch von Selbstkarikatur ist wie ein Giftspritzer in die Welt der großen, reinen Bollywood-Liebe geraten. Möglicherweise ist die Ära der „Family-films“ ja auch einfach vorbei?

Das wäre nicht verwunderlich, denn nach zehn Jahren haben im indischen Kommerzkino schon oft erprobte Rezepturen von so genannten Formularfilmen schlichtweg ausgedient. „Sometimes Happy, Sometimes Sad“ sollte zu einem Höhepunkt dieses Genres werden, doch die Tränen fließen in diesem Film wohl auch, weil man bei dem megalomanischen Projekt wohl schon ahnte, dass es ein Abgesang würde.

„Sometimes Happy, Sometimes Sad“. Regie: Karan Johar. Mit Sha Rukh Khan, Hrithik Roshan, Kajol Shomu Mukherji u. a. Indien 2001, 210 Minuten