Langsamer Rücktritt vom Atomgeschäft

Angeblich steht der Export der Hanauer Anlage vor dem Abschluss. Aber wer bezahlt die internationalen Kontrolleure?

Steht die Hanauer Atomanlage zur Herstellung von Uran-Plutonium-Mischoxidbrennstoff (MOX) tatsächlich bald in China? In Hessen demontiert, über die Weltmeere verschifft und von den Experten der Siemens AG im Reich der Mitte wieder aufgebaut? Die Vorbereitungen für den Export näherten sich dem Ende, meldete die Berliner Zeitung gestern.

Die Bundesregierung stehe kurz vor dem Abschluss von gleich zwei Vereinbarungen – mit der Volksrepublik China über den Ankauf der Anlage und mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) über die Übernahme der Kontrollfunktion. Mit den beiden Abmachungen werde sichergestellt, dass die Atomfabrik nach ihrem Verkauf nicht militärisch genutzt werden könne. Die Chinesen hätten bereits „grundsätzliche Zustimmung“ signalisiert.

Was aber sagt die IAEO dazu? Die Kontrolleure stellten vorsorglich die Frage: Wer soll das bezahlen? Grundsätzlich prüft die IAEO keine atomaren Anlagen in den offiziellen Atomwaffenstaaten USA, Großbritannien, Frankreich, Russland und China – und schon gar nicht kostenlos.

Zwar soll sich China nach Angaben aus deutschen Regierungskreisen bereit erklärt haben, die Kontrolleure der IAEO ins Land zu lassen. Ob das Regime in Peking aber bereit sein wird, dafür auch zu bezahlen, glaubt hier kaum jemand. Siemens wird die Kosten ebenfalls nicht übernehmen. Der Konzern blätterte schließlich schon rund eine Milliarde Mark für die Errichtung der nie in Betrieb gegangenen Anlage hin und zahlt seit Jahr und Tag die anfallenden Unterhaltskosten.

Bleibt der deutsche Steuerzahler. Doch ob ihm ausgerechnet im Superwahljahr 2004 zugemutet werden kann, die Kontrollkosten von geschätzten 500.000 Euro jährlich zu übernehmen, bezweifeln nicht nur die Grünen, die eine solche Subventionierung des Exports bereits abgelehnt haben. Auch die Sozialdemokraten können sich angesichts der aktuellen Umfragewerte diese Debatte kaum erlauben.

SPD-Fraktionsvize Gernot Erler legte die Latte für das vom Kanzler eingefädelte Geschäft mit den Chinesen schon mal hoch. Die Zusicherung der potenziellen Käufer, die Atomanlage nicht militärisch nutzen zu wollen, dürfe kein „Restrisiko“ beinhalten. Sei das der Fall, müsse die Bundesregierung das Geschäft „aus politischen Gründen ablehnen“.

Eine Expertin der renommierte Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) nannte diese Zusicherung schon vor Monaten „wertlos“. China sei schließlich noch immer eine Diktatur und die Aktivitäten der Machthaber dort ganz schwer zu kontrollieren. Ähnlich hatte sich das Ökoinstitut geäußert.

Das Auswärtige Amt dementierte gestern die Meldung über den unmittelbar bevorstehenden Vertragsabschluss. Gründlichkeit gehe vor Schnelligkeit, hieß es dort. Eilig hat es offenbar noch nicht einmal Siemens. Das Unternehmen reichte bis heute noch keinen formellen Exportantrag ein. Es existiert lediglich eine Voranfrage.

Womöglich muss der scheidende SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder bald auch von seinem Exportversprechen zurücktreten. Und Siemens wird die Anlage allenfalls zum Schrottpreis verkaufen können.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT