: Katastrophe oder Rehabilitierung?
Vor 70 Jahren wurde Österreich von einem kurzen Bürgerkrieg zwischen Roten und Schwarzen erschüttert. Über den heutigen Umgang mit dem Ereignis und die Beurteilung des autoritären Regimes von Kanzler Dollfuß gehen die Meinungen auseinander
AUS WIEN RALF LEONHARD
„Der Februar 1934 war eine Katastrophe. Es gibt in der Politik fast nichts Schlimmeres als den Bürgerkrieg.“ Für Heinz Fischer, 2. Nationalratspräsident und SPÖ-Kandidat für die Bundespräsidentenwahlen am 25. April, ist die Aufarbeitung jener blutigen Ereignisse, deren 70. Jahrestag gestern begangen wurde, deshalb „schwieriger als jene der NS-Zeit“. Die großen Parteien, SPÖ und ÖVP, haben heute noch ganz unterschiedliche Interpretationen des kurzen Bürgerkriegs, in dem ihre Vorgängerorganisationen einander unversöhnlich gegenüberstanden.
Es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise, die ein Heer von Arbeitslosen freigesetzt hatte. 1932 folgt der Christlich-Soziale Engelbert Dollfuß Prälat Ignaz Seipel als Bundeskanzler nach. Gemeinsam mit der paramilitärischen Heimwehr regiert er gegen die Sozialdemokraten, die immerhin 41 Prozent der Wähler repräsentieren und im Wiener Rathaus regieren. Am 4. März 1933 nutzt Dollfuß eine Geschäftsordnungskrise des Nationalrats, um das Parlament auszuschalten und mit den Kriegsermächtigungsgesetzen von 1917 autoritär zu regieren.
Versammlungs- und Pressefreiheit werden aufgehoben. Der Republikanische Schutzbund, den die Sozialdemokraten als bewaffnetes Gegengewicht zur Heimwehr gegründet haben, wird verboten, rechte paramilitärische Formationen werden als „Assistenzkörper“ der Polizei legitimiert. Gleichzeitig drängt Benito Mussolini den österreichischen Kanzler, die Repression gegen die Linke zu verschärfen.
Die Ernennung von Heimwehrführer Emil Fey zum Minister für Sicherheitswesen muss von der Sozialdemokratie also als Alarmsignal verstanden werden. Im September 1933 verabschiedet Dollfuß eine ständische Verfassung, die kein Parlament und keine Parteien kennt. Wenig später wird die Todesstrafe wieder eingeführt. Die Sozialdemokraten sehen ihre Rettung nur mehr im Aufstand.
Als am 8. Februar ihr Parteihaus in Wien von der Polizei für zwei Tage besetzt und durchwühlt wird, sehen sie sich zum Handeln gedrängt. Mehrere Waffenlager fallen den Regierungskräften in die Hände. Zu spät erfolgt der Befehl zum Widerstand. In Wien, Graz, Linz und Innsbruck verschanzen sich am 12. Februar bewaffnete Arbeiter in Gemeindebauten und liefern den vereinten Truppen von Polizei, Armee und Heimwehr ebenso verzweifelte wie aussichtslose Gefechte.
Der Aufstand bricht schnell zusammen, die Anführer werden aufgehängt. Dollfuß, der weiter autoritär regiert, wird fünf Monate später bei einem Putschversuch der illegalen Nationalsozialisten ermordet.
Das Bild von Engelbert Dollfuß hängt noch heute im Lokal des ÖVP-Parlamentsfraktion. Die Christdemokraten würdigen ihn als einen Mann, der für Österreich gestorben sei. Heinz Fischer kann wie seine Parteigenossen von der SPÖ dieses positive Bild des Austrofaschisten nicht teilen. Der autoritäre Ständestaat hat ihrer Meinung nach Hitlers Einmarsch den Weg bereitet und ihn nicht aufgehalten.
So lehnte die SPÖ auch das Ansinnen der ÖVP ab, der Ereignisse vor 70 Jahren an zwei Terminen zu gedenken: am 12. Februar und 25. Juli, dem Todestag von Dollfuß. Besonders dem ÖVP-Chefideologen und 1. Nationalratspräsidenten Andreas Khol ist die Rehabilitierung des Diktators ein Anliegen. Er stellte letztes Jahr die Räume des Parlaments zur Verfügung, um eine Dollfuß-Biografie zu präsentieren, deren Autor dem Klassenkampf und der Kirchenfeindlichkeit der Sozialdemokraten die Hauptschuld am Bürgerkrieg gibt.
Die Zeiten, da die katholische Kirche sich klar mit einer Partei identifizierte und mit Prälat Seipel sogar den Bundeskanzler stellte, sind lang vorbei. Doch unter Wolfgang Schüssel und Andreas Khol hat sich die ÖVP wieder deutlicher rechts und unverhohlen klerikal positioniert. Khol, der auf jede Frage einen passenden Bibelspruch parat hat, ist der erbittertste Vorkämpfer für einen Gottesbezug in der Verfassung, so wie in der ständischen Verfassung von 1933. Ein Anliegen, das nicht einmal die Bischofskonferenz so vehement teilt. „Es findet eine Reideologisierung der ÖVP als christdemokratische Partei statt“, bestätigt Andreas Kho. „Das hängt vor allem mit der Person Wolfgang Schüssel und mit seinem Team zusammen.“
Kanzler Schüssel selbst begibt sich jedes Jahr für einige Tage zur Einkehr in ein Benediktinerkloster. Als die nach der ersten Koalition mit der FPÖ vor vier Jahren verhängten Isolationsmaßnahmen der EU-Partner aufgehoben wurden, führte er eine Wallfahrt der Regierung zur Schutzmantelmadonna von Mariazell an.
Innenminister Strasser, der Mann, der ganz unchristlich Asylbewerber vor die Tür setzen ließ, hat veranlasst, dass Polizeifahrzeuge von uniformierten Pfarrern gesegnet werden. So weit, dass es Schießbefehle gegen demonstrierende Arbeiter geben wird, ist es noch nicht. Aber der aufgeheizte Ton im Nationalrat – sei es zur Pensionsfrage, zu Abfangjägern oder den Affären des Finanzministers – erinnert zunehmend an die Zeit, als das ideologische Lagerdenken jede politische Verständigung unmöglich machte.