: Im Niemandsland
Die einstige Fußball-Hochburg Dynamo Dresden feiert morgen ihren 50. Geburtstag – in der Regionalliga
DRESDEN taz ■ Gedanken an Dynamo Dresden kreisen bisweilen träge in der Gegenwart. Erst wenn sie in die Vergangenheit springen, findet eine merkliche Beschleunigung statt. „Dynamo ist immer noch eine gute Adresse“, sagt Reinhard Häfner gestelzt und im gedanklichen Schritttempo. Häfner war Stürmer und ist jetzt Sportdirektor. Weil er aber die Geschwindigkeit eines Gedankens, der im Gedächtnis von Synapse zu Synapse hüpft, vorzieht, erzählt er schnell von den großen Tagen, vom Spiel gegen Bayer Uerdingen zum Beispiel. Und das ging so: Dynamo führte zur Halbzeit mit 3:1 – und verlor 3:7. Ein kurzer Anstoß genügt, damit Häfner kopfüber in die Partie hineinkippt. Er erzählt von der schnellen Führung und rechtfertigt die Niederlage, als säße ihm der Parteisekretär noch immer im Nacken wegen der Schmach beim Klassenfeind. Der Frank Lippmann habe rübergemacht und der Torwart musste raus, ein ganz junger rein, zählt Häfner die Nachteile der Gelb-Schwarzen auf. Außerdem war mit dem Schiedsrichter was nicht in Ordnung.
Das Spiel ist ein paar Jahre her und zur Anekdote geschrumpft. Dynamo Dresden öffnet derzeit seinen Anekdotenschrank aus fünf Jahrzehnten. Dynamo wird am morgigen Samstag 50. Im Filmtheater „Schauburg“ wurde die Gründung über die Bühne gebracht. Ein gewisser Tülch, Oberstleutnant der Volkspolizei, übernahm die Vereinsführung. Lokalzeitungen haben nun die Leser aufgerufen, die „Dynamo-Mannschaft aller Zeiten“ zu wählen. Häfner wird dabei sein. Auch „Dixie“ Dörner, Ralf Minge, Matthias Sammer und Ulf Kirsten. Die alten Dynamos werden zusammenkommen, sich die Bälle zuspielen und ein paar Bier kippen. Das Klassentreffen wird irgendwann, nachdem die Heldengeschichten erzählt sind, in eine larmoyante Bestandsaufnahme des Dresdner Fußballs münden.
Dynamo spielt in der Regionalliga. Es fehlt an Geld, guten Spielern, einem tauglichen Stadion – und der Bereitschaft der Politiker, dem Fußball zuzuarbeiten. „Wir kämpfen an allen Fronten“, sagt Häfner. Es schlummere ein großes Potenzial in der Stadt, man wolle unbedingt zurück in die Bundesliga, aber in der sächsischen Landeshauptstadt stehen nun einmal Kunst, Kultur und Tourismus im Vordergrund. „Damit müssen wir leben.“ Aber das ist nur die halbe Wahrheit, warum der achtfache DDR-Meister das Leder durchs fußballerische Niemandsland treibt. „Wir haben Fehler gemacht“, sagt Häfner. „Fehler im Management, aus Unwissenheit und Naivität.“ Aus dieser Zeit seien noch viele Altlasten da. Es war die Zeit des Sonnenkönigs, wie Rolf-Jürgen Otto, Unternehmer aus Frankfurt mit zweifelhaftem Ruf, anfangs der Neunziger genannt wurde. Otto war so etwas wie der Prototyp des windigen Kolonialisten, der über den Osten kam und zum Leidwesen der Dresdner gerade in der Barockstadt das ideale Terrain sah, lukrative Geschäfte zu betreiben.
Otto, der Eroberer, sicherte Dynamo bis 1995 die Bundesliga, dann brach sein Imperium zusammen und die alten Dynamos fragten sich, warum sie ihren Verein zum Spekulationsobjekt hatten verkommen lassen. Man ist immer noch dabei, die Trümmer dieser Ära zusammenzuklauben. Derzeit sind es Trainer Christoph Franke und Manager Siegmar Menz, die das versuchen. Beide sind vom Chemnitzer FC zu Dynamo gewechselt und waren anfangs überrascht, welch fürstliche Gehälter in Dresden gezahlt werden. „Unbegreiflich, was die für ein Schweinegeld gekriegt habe“, sagt Menz. Franke staunte über die unprofessionellen Bedingungen: „Wir haben den schlechtesten Spielplatz der Liga und ganz schlechte Hallenbedingungen, zu einem Zweitligisten fehlt Dynamo noch viel. Selbst in Verl, einem Dorfverein, sieht es besser aus als bei uns.“
Mittlerweile wurde der Etat auf 2,3 Millionen Euro gekürzt. In der kommenden Saison steht noch weniger Geld zur Verfügung. Die besseren Spieler (Schröter, Jungnickel) wurden an Energie Cottbus verkauft und Nachwuchsspieler in den Kader integriert. „Wir müssen kleine Schritte gehen“, sagt Häfner. Aber selbst bei dieser vorsichtigen Fortbewegung läuft Dynamo Gefahr, über die eigenen Beine zu fallen. Der Ruf ist nicht nur durch den sportlichen Abstieg beschädigt, sondern auch durch gewaltbereite Fans. Immer wieder flackert die Gewalt auf. Wen wundert’s, angesichts der Vielzahl von Problemen, dass die glorreiche Vergangenheit von Dynamo Dresden viel attraktiver ist als die Gegenwart – und auf absehbare Zeit wohl auch bleiben wird. MARKUS VÖLKER