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Archiv-Artikel

Flauten kosten Geld

Windvorhersagen werden für das Management der Stromwirtschaft immer wichtiger. Forscherteams in Oldenburg und Kassel arbeiten daran, die Leistungsprognosen von Windparks zu verbessern

VON BERNWARD JANZING

Eine gute Wetterprognose ist längst Millionen wert. Das weiß niemand besser als die deutschen Stromkonzerne. Denn seit die Windkraft in Deutschland einen merklichen Beitrag zur Stromversorgung leistet, müssen die Windprognosen beim Management der Netzlast stärker berücksichtigt werden.

Täglich bis 14.30 Uhr melden die Netzbetreiber ihren Fahrplan für den Folgetag. Sie bestellen Energie oder bieten Überschuss am Markt an. Kommt dann ein unerwarteter Sturm dazwischen, werden die Planungen mächtig durcheinander gewirbelt. Ebenso bei einer überraschenden Flaute – und beides kostet Geld. Matthias Boxberger, Sprecher von Eon Netz, weiß daher: Jeder Euro, der zur Verbesserung der Windprognose ausgegeben wird, sei „gut investiertes Geld“ – denn jeder Prozentpunkt, um den die Vorhersage besser wird, spart teure Regelenergie. Längst nutzen daher Eon Netz, wie auch RWE Net und Vattenfall Europe Transmission ausgeklügelte Windprognose-Modelle.

Schließlich sind die Leistungen, um die es heute geht, beachtlich. Allein am Netz des Eon-Konzerns hängen rund 6.000 Megawatt installierte Windkraftleistung. In der Praxis kann daher die eingespeiste Windleistung zwischen null und mehr als 4.000 Megawatt schwanken – dass alle Anlagen gleichzeitig Volllast bringen, ist praktisch ausgeschlossen.

Welchen Marktwert die Wetterprognosen für die Stromwirtschaft nun explizit haben, ist jedoch unbekannt. Die Unternehmen geben konkrete Zahlen nicht heraus. Und Abschätzungen sind schwierig, weil die individuellen Bezugsverträge der Netzbetreiber sehr unterschiedlich sein können. Lediglich eine Zahl nennt Eon Netz: 100 Millionen Euro habe man im vergangenen Jahr für Regelenergie ausgegeben. Welcher Anteil davon durch Windkraft bedingt war, bleibt offen.

Da mit dem Ausbau der Offshore-Windkraft in den kommenden Jahren die Leistungen sich nochmals verdoppeln oder verdreifachen werden, wird die ökonomische Bedeutung von Windprognosen weiter zunehmen. Für den Deutschen Wetterdienst (DWD) ist, wie Sprecher Paul Becker sagt, daher eines klar: „Unter allen Wetterprognosen verdient die Windprognose die meiste Aufmerksamkeit.“

Denn hier sind so genannte Phasenfehler besonders problematisch. Während es etwa einem Landwirt, der auf Regen wartet, nicht so wichtig ist, ob der angekündigte Niederschlag nun eine Stunde früher oder später kommt, ist für die Stromwirtschaft der Zeitpunkt des Durchzugs einer Wetterfront ganz entscheidend. Liegt die Prognose um mehrere Stunden daneben, ist sie oft wertlos.

Also arbeiten mehrere Forscherteams in Deutschland an dem Thema. Der DWD liefert als Rohdaten eine Windprognose mit einer räumlichen Auflösung im Raster von sieben mal sieben Kilometer. Für jeden der Gitterpunkte sagt sie die Windgeschwindigkeit, die Windrichtung, den Luftdruck und ein vertikales Temperaturprofil für bis zu 72 Stunden voraus. Und daraus entwickeln Wissenschaftler anderer Institute nun Leistungsprognosen für Windparks.

Zwei Forscherteams sind hier bereits recht weit fortgeschritten: die Universität Oldenburg mit ihrem System „Previento“ und das Institut für Solare Energieversorgungstechnik (Iset) in Kassel mit ihrem „Advanced Wind Power Prediction Tool“ (AWPT). „Wir nehmen die DWD-Prognose, rechnen anhand der Topografie und der Temperaturschichtung auf Nabenhöhe der Anlagen um und simulieren daraus die Erträge der Windparks“, sagt Matthias Lange, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Energie-Meteorologie in Oldenburg. Die Qualität der Prognosen ist unterschiedlich: „Bei wenig Wind sind sie recht sicher, bei Sturm weniger.“

Das Iset nutzt indes statistische Verfahren, die auf künstlicher Intelligenz („neuronale Netze“) beruhen und lernfähig sind. Damit verbessere man die Prognose gegenüber den Rohdaten des DWD deutlich, sagt Bernhard Ernst, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Iset. Über 48 Stunden gelinge es, die Windleistung mit einem mittleren Fehler von zehn Prozent vorherzusagen, heißt es beim Iset. Bei der 3- bis 6-Stunden-Prognose liege man bei nur noch fünf Prozent Toleranz.

Ob in den nächsten Jahren noch deutliche Verbesserungen erzielt werden können, liegt nicht allein an den Wetterexperten, sondern auch an der Stromwirtschaft. Die nämlich müsste ihr altes System der Lastplanung modernisieren, um zu kürzeren Planungsfristen zu kommen. Wer am Mittag schon den ganzen Folgetag planen muss, lebt mit unnötig vielen Unsicherheiten.

Die Branche kennt das Problem. „Das hängt ganz wesentlich an der europaweiten Standardisierung des Datenmanagements“, sagt Astrid Fischer, Sprecherin des Verbandes der Netzbetreiber (VDN), einem Zweig des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW).

Doch man arbeite dran. So könne man davon ausgehen, dass die Fristen, die schon in der Vergangenheit verkürzt wurden, bald weiter reduziert werden können. Wissenschaftler Ernst weiß, dass der Gewinn beachtlich sein wird: „Wenn die Stromwirtschaft statt am Vortag künftig ihre Lastpläne jeweils erst vier bis acht Stunden im Voraus bestimmt, wird sie auf deutlich besseren Windprognosen aufbauen können.“ Damit wird sie enorme Mengen an Regelenergie sparen – und folglich sehr viel Geld.