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Archiv-Artikel

„Ich habe nichts getan, was meinen Sohn konservativ machen könnte“

Oscar-Preisträgerin Frances McDormand über die neue Spießigkeit, Hausfrauen und den Vorteil von Brust-Attrappen

INTERVIEW SUSANNE LANG

taz: Frances McDormand, wo sind die wilden, langen Hippie-Locken aus „Laurel Canyon“ geblieben?

Frances McDormand: Ach, mir war nach kürzeren Haaren. Ich arbeite ja gerade nicht, spiele keine Rolle. Ich bin Mutter, bringe jeden Tag mein Kind in die Schule und sitze nun seit einer Woche in der Berlinale-Jury – als Präsidentin. Da dachte ich: Haare ab.

Eine konservative Phase? Nicht, dass es Ihnen nicht stehen würde …

Oh, danke. Ja, wahrscheinlich sieht es konservativ aus. Zumindest mehr als die Frisur im letzten Jahr. Ja. Aber jetzt achte ich auf mich, sehe aus wie ICH, nicht wie eine meiner Rollen. Wenn ich einen Film mache, spielt die Frisur eine sehr große Rolle. Sie ist ausschlaggebend dafür, wie ich mich in der Rolle darstelle.

Sie haben als Independent-Star aber nicht wirklich den Ruf konservativ zu sein. Wie nahe ist Ihnen die Rockproduzentin und Hippie-Mutter Jane aus Laurel Canyon?

Laurel Canyon – ja, ich liebe diesen Film, ich bin sehr stolz darauf. Jane ist ja trotz allem auch eine gute Mutter, sie macht beruflich ihr Ding und liebt ihren Sohn. Wir sind uns ähnlich. Aber wissen Sie, was wirklich Spaß gemacht hat an dem Film, waren die Szenen, in denen ich mich als über Vierzigjährige in meiner Sexualität zeigen konnte.

Ihre erste Nacktszene, mit 46 – das ist ungewöhnlich.

Ja. Aber es war großartig. Und ich konnte meine Fußknöchel ganz oft zeigen. Im Ernst: Die Rolle war für mich etwas sehr Besonderes und Ausfüllendes, weil sie so anders ist, als ich bisher wahrgenommen wurde – nicht dass ich zuvor keine Rollen wie diese gespielt hätte, aber das war am Theater oder in Projekten, die die meisten Leute nicht gesehen haben. Für viele bin ich immer noch die hochschwangere Polizistin Marge aus „Fargo“. In Laurel Canyon hatte ich die Möglichkeit, eine Frau zu spielen, die genau das Gegenteil von Marge ist.

Auf eine Art sind die beiden sich gar nicht so unähnlich: Sie haben beide einen Job, sind unabhängig und sehr eigen. Stehen Sie als Schauspielerin mit Ihrer Filmografie für dieses Frauenbild?

Das täuscht. Vor allem zu Beginn meiner Karriere habe ich sehr viele Hausfrauen gespielt, Ehefrauen oder Freundinnen. Sie hatten Jobs, aber ihre Berufstätigkeit hatte nichts zu tun mit dem Charakter der Figuren oder der Geschichte der Filme. Das geschieht leider immer noch häufig mit Frauenrollen. Sie erzählen mehr über den Mann als über die Frau: Er hat eine Frau, die einen Beruf hat, aber für den Film spielt es keine Rolle. Ein Beispiel: Die Figur der Nuklearphysikerin in „Top Gun“. Das einzig Wichtige ihrer Rolle war es, ein Shirt ohne BH zu tragen. Man sieht sie nie arbeiten, nie, wie sie lebt.

In Filmen wie Top Gun hat man Sie aber auch noch nicht gesehen.

Oh, nein. Aber einmal spielte ich eine Rolle in einer Comic-Verfilmung, einer Art Vorgänger der Spiderman-Filme. Das Drehbuch machte aus meinem Part eine Immobilienmaklerin. Letztlich war ich auch nur dazu da, am Ende des Films vom 16. Stockwerk an einem Seil herunterzuhängen und huahuahua zu schreien. Mal ehrlich, wenn ich das spiele, denke ich doch nicht: Wie würde eine Immobilienmaklerin da hängen und um Hilfe rufen?

Was ist mit der Rolle von Alex, der Verlobten des Sohnes aus „Laurel Canyon“, sie spielt ja eine Genforscherin, die an ihrer Diplomarbeit schreibt – ist das eine richtige Frauenrolle?

Nicht ganz, würde ich sagen. Ich denke für Lisa Cholodenko (die Regisseurin, Anm. der Red.) war es ein Element, um die Geschichte zu erzählen. Lisa ging es nicht darum, die Liebe zur Rock’n’Roll-Welt gegen die biedere Krankenhauswelt des Sohnes auszuspielen, es handelt sich mehr um eine Geschichte von Sohn und Mutter, nicht so sehr von Sohn und Verlobter.

Die Geschichte spiegelt einen Generationenkonflikt, den viele Mütter um die 40 kennen: Konservative Kinder rebellieren gegen ihre Hippie-Eltern. Die wiederum kämpften in ihrer Jugend noch gegen konservative Eltern. Welcher Konflikt folgt nun?

Ach, ich glaube, das ist wirklich nichts Neues. Wahrscheinlich kippt das alle 20 oder 30 Jahre. Es ist ein natürlicher Prozess, wie sich jede Generation in den Fußspuren der letzten findet. Das heißt jetzt aber nicht, dass mein eigener Sohn konservativ werden wird.

Das ist ja interessant. Warum sollte er eine Ausnahme sein?

Ja, passieren könnte es natürlich. Als ich in „Almoust Famous“ eine Mutter spielte, die sehr besorgt war wegen ihres Sohnes, wegen Drogen, dass er in einen Rock’n’Roll- Lifestyle hineingerät, da dachte ich sehr viel darüber nach, was wäre, wenn das mein richtiger Sohn wäre. Ich weiß nur: Für mich wäre es sehr viel härter, wenn mein Sohn zum Militär gehen würde, Soldat werden wollte. Ich meine, er ist erst zehn. Aber bis zum jetzigen Zeitpunkt habe ich nichts getan, was diese Art von Lebensstil vorbereitet hätte. Nicht im Geringsten. Für ein Leben mit Drogen auch nicht wirklich, aber noch weniger für eine Militärlaufbahn.

Vielleicht bringt ihn das gesellschaftliche Umfeld auf die schiefe Bahn. Gibt es eine Tendenz in den USA zu konservativen Werten und Militarismus?

Ach nein, ich glaube, diese Tendenz gab es sehr viel stärker unter der Reagan-Regierung. In den frühen 80ern. Sie spiegelte sich in der Regierung. Ich denke, was sich geändert hat, ist, dass viel mehr junge Leute wählen gehen als noch in den 70ern. Sie haben erkannt, dass sie dadurch zumindest den Lebensstil bekommen konnten, den sie wollen – auch wenn sie damit nicht die Welt verändern. Daher wählten viele konservativ, also die Republikaner. Sie sehen es als Ende eines bestimmten Lebensstils an, nicht unbedingt als politische Botschaft für die Welt. In den 60ern und 70ern hingegen hatte die Vorstellung, wählen zu gehen, etwas von einem Gefühl der Vergeblichkeit. Was sollte die Regierung schon tun? Also: Fuck them.

Sie haben ja jetzt eine Woche Berlinale-Filme hinter sich. Was ist Ihr Eindruck, spiegeln die Filme die Welt und die Gesellschaft von heute?

Oh mein Gott. In einigen Fällen hoffe ich, dass sie es nicht tun. Nein, grundsätzlich denke ich nicht, dass sie das überhaupt können. Spielfilme sind dem richtigen Leben immer einen Schritt hinterher. Sie verändern nichts, sondern reflektieren kulturelle oder gesellschaftliche Strömungen, die längst vorbei sind.

Mrs McDormand, hatten Sie jemals Probleme damit, immer nur in gewissen Typen und einer bestimmten Art von Filmen Teil dieser Reflexion zu sein? Zu stark typisiert zu werden?

Das hat tatsächlich meine gesamte Karriere geprägt. Von Anfang an wollte ich nicht in einer Typenschublade stecken. Ich konnte die Idee nicht ausstehen, immer wieder dieselben Frauentypen zu verkörpern.

Also: unglamourös, tough?

Ja. Aber das änderte sich bei „Arizona Junior“. Der Kostümbildner beschloss, dass ich als Mutter von fünf Kindern naturgemäß größere Brüste haben müsse. Die Lösung waren diese wundervollen synthetischen Brustattrappen. Und wissen Sie was?

Was?

Nach diesem Film bekam ich nur noch Drehbücher, in denen bei meiner Rollenbeschreibung immer stand: große, schöne Brüste. Okay, dachte ich, ich habe nichts gegen große Brüste, aber die Filmemacher könnten etwas dagegen haben, mich mit kleinen zu zeigen.

Ist das nicht schrecklich?

Im Gegenteil, es war ein sehr gutes Gefühl. Ich hatte kein Problem ,sie zu tragen, das war, wie eine falsche Nase anzustecken oder sich so zu verkleiden. Sie kamen in eine kleine Box und ich nahm sie mit zum Vorsprechen. Die Sicherheit war: Nein, ich habe keine großen Brüste, aber wenn ich sie brauche, habe ich sie. Und tatsächlich, einmal habe ich genau wegen der künstlichen Brüste einen Job bekommen: Im Film gab es eine Albtraumszene: Ein Mann, dessen Frau ich spielte, leidet unter der Vorstellung, Sex zu haben. Im Drehbuch stand zu der Szene: Sein Gesicht groß im Bild und diese Riesenbrüste kommen bedrohlich auf ihn zu. Ausschlaggebend war, dass die Brüste nicht mit einem Körper in Verbindung standen. Da packte ich meine aus der Schachtel und sagte zu dem Regisseur: Vertrau mir, ich kann diese Rolle spielen. Und er gab sie mir.

Also ein Gefühl von Stärke?

Was? Die Brüste, in dem Film?!

Nein, die Gewissheit, dass Frauen tougher sind, als vermutet wird?

Nein, das glaube ich nicht. Mich befreiten diese Attrappen von der Besorgnis, die viele Schauspielerinnen haben, in ein gewisses Bild von Weiblichkeit oder Sexualität passen zu müssen.

Handelt es sich bei Janet Jackson und ihrem nackten Brust-Auftritt beim Superbowl auch um eine Art Befreiung oder bestätigt sie genau dieses Bild? Die Öffentlichkeit war ja sehr, sehr aufgeregt wegen der Brust.

Also, ich glaube, es muss ein sehr nachrichtenarmer Tag gewesen sein, um das zu diesem großen Ereignis zu machen. Es gibt wirklich wichtigere Dinge auf der Welt, als seine Brust zu zeigen. Superbowl und seine Übertragung im Fernsehen ist vielleicht nicht der richtige Platz dafür, aber jeder hat ja wohl schon mal eine Brust gesehen. Das sollte er zumindest.

Man könnte auch sagen, die USA sind in großen Teile sehr spießig. Was ist Ihre Definition von spießig?

Keinen offenen Horizont zu haben. Das Gegenteil ist open-minded.

Konkret: Rauchen, ist das spießig oder open-minded?

Oh, das kann ich nicht so einfach beantworten. Nicht beim Rauchen. Da muss man genau darauf achten, was man sagt.

Wie ist es mit Mülltrennen?

Müll trennen? Tut mir Leid, kann ich auch nicht einfach beantworten. Das ist zu komplex. Aber ich habe eine andere Frage an Sie: Hatte oder hat irgendjemand ein Problem mit mir als Jurypräsidentin? Ist es generell akzeptiert, eine amerikanische Schauspielerin als Präsidentin zu haben?

Soweit ich weiß, ja. Warum sollte es nicht akzeptiert sein?

Wirklich? Ich war ja nicht sicher, weil ich mich nicht präsentiere und auf öffentlichen Partys zeige. Oh, da fällt mir noch eine Frage ein: Wo gibt es denn hier in der Nähe diese coolen Schießer-Unterhemden zu kaufen? Ich liebe sie, aber bei uns gibt es fast nirgendwo.

Ähm, Schießer-Hemden? Das ist ja jetzt fast spießig …

Aber nein! Nein, Sie haben ja keine Ahnung. Die sind richtig cool. Also wo?