: „Die Ersttäter fallen durch die Maschen“
Ein Blick in die Wilhelmstadt, ein Wohngebiet auf der Problemkiez-Liste: Dort halten Polizisten Hilfen für Jugendliche aus armen Elternhäuser für entscheidend. Paradoxerweise wurde 2000 das Präventionsprojekt „Kick“ dichtgemacht
Die Wilhelmstadt in Spandau gehört zu den neun Vierteln, denen Innensenator Ehrhart Körting (SPD) das Etikett „Problemkiez“ aufgedrückt hat. Im Originalton hört sich das so an: 17.650 Einwohner, 62 Straftaten pro 1.000 Bürger im Jahr. „Der Zuzug sozial schwächerer Bevölkerungsschichten geht mit einer spürbaren Verschlechterung der Wohnqualität und zunehmenden Verwahrlosungstendenzen einher“, so Körting. Ein Trinkermilieu „hat sich etabliert und weitet sich aus“, im südlichen Bereich sammele sich eine Drogenszene.
Polizeioberkommissarin Christina Hirschfelder, Präventionsbeauftragte im für die Wilhelmstadt zuständigen Polizeiabschnitt 23, reibt sich verwundert die Augen. „Die Trinkerszene gibt es schon seit ewigen Zeiten, die ist nicht größer als früher.“ Auch von der Etablierung einer offenen Drogenszene könne keine Rede sein. Wenn ihr etwas Sorgen bereite, dann seien es die Kinder und Jugendlichen. „Die Jugendlichen kommen aus armen Elternhäusern, langweilen sich und entwickeln keine Perspektiven.“ Der Schritt zu Drogen und Kriminalität sei für viele nicht weit.
Noch sei die Wilhelmstadt „nicht der dicke Problemkiez“, steht für die Polizistin fest. „Aber wir müssen verhindern, dass er einer wird.“ Hirschfelders Forderung: „Die Jugendlichen brauchen lebensnahe Hilfe in ihrem Wohnbereich.“ Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Problemkieze – Spandau hat vier gemeldet – empfindet es die Polizistin als geradezu paradox, dass ausgerechnet das Präventionsprojekt „Kick“ im Jahr 2000 seinen Standort in Spandau schließen musste.
Die Idee von Kick richtet sich an gefährdete oder bereits mit dem Gesetz in Konfikt geratene Kinder und Jugendliche. Sport- und Jugendeinrichtungen bieten dabei unter fachlicher Anleitung von speziellen Pädagogen mit Unterstützung der Polizei ein sinnvolles Freizeitangebot oder eröffnen schulische und berufliche Perspektiven. Kick wird jährlich mit 1,1 Millionen Euro aus Lotto- und Landesmitteln finanziert und ist stadtweit neun Mal vertreten. „Es ist uns gelungen, schon viele kriminelle Karrieren zu verhindern“, sagt Achim Lazai, Polizist im Ruhestand, der Kick 1990 gründete.
Nicht nur seitens der Polizei wird die Wiederbelebung des Spandauer Kick-Standortes gefordert. „Die Ersttäter fallen durch die Maschen“, bestätigt Brigitte Fuchs. Sie leitet die Jugendfreizeiteinrichtung „Wildwuchs“, ein Kooperationsprojekt des Vereins für Sport- und Jugendsozialarbeit, an das „Kick“ bis zur Schließung vor drei Jahren gekoppelt war. Bei Wildwuchs verkehren täglich 40 bis 80 Jugendliche vieler Nationen. „Das Gewaltpotenzial“, so Fuchs, „ist ungemein groß.“
PLUTONIA PLARRE