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olympiafieberDer Entscheidung folgen Beschwörungsformeln

Lillehammer als Leitstern

Die frohe Botschaft kam direkt vom Herrn der Ringe. „Deutschland, Leipzig und Rostock haben eine gute Chance“, kabelte Jacques Rogge direkt ins noble Hilton nach München, auch die Begründung blieb der IOC-Präsident nicht schuldig: „Wir wissen, sie sind genau bei der Organisation und haben eine Mannschaft mit Erfahrung.“ Selbst das Problem der mit 500.000 Einwohnern mangelnden Größe, einer der Hauptkritikpunkte an der Wahl Leipzigs, wollte der IOC-Boss nicht gelten lassen: „Auch andere kleine Städte haben Olympische Spiele gehabt, wie beispielsweise Lillehammer.“

Die Sätze werden sie sich in der Sachsenmetropole nun einrahmen – und jedem unter die Nase reiben, der da behauptet, mit Leipzig habe das NOK schon im Vorfeld jedwede Chance vergeben, die Spiele 2012 in Deutschland ausrichten zu dürfen. Vor allem die geringe Hotelkapazität sowie die Frage der Nachnutzung der zu bauenden Sportstätten werden Leipzig als negativ angekreidet, auch das mangelnde internationale Renommee ist ein Thema. Zumal Leipzig es schon in der Vorentscheidung mit städtischen Schwergewichten zu tun bekommt. Allein aus Europa stehen Madrid, Paris, London und Moskau als potenzielle Kandidaten in den Startlöchern; da das IOC die letzte Bewerbungsphase, die am 6. Juli 2005 mit der Vergabe der Spiele 2012 endet, mit höchstens fünf Kandidaten angehen will, wird in dieser Vorrunde der ein oder andere europäische Bewerber auf der Strecke bleiben. Insofern könnte NOK-Präsident Klaus Steinbach durchaus irren, wenn er anmahnt, „alles dafür zu tun, dass Leipzig in den nächsten zwei Jahren eine starke deutsche Bewerbung wird“. Die Vorauswahl nämlich trifft das IOC bereits nächsten Sommer.

Auf seinen geschichtlichen Hintergrund, der beim nationalen Entscheid eine nicht unmaßgebliche Rolle spielte, wird Leipzig beim Ringen um die Ringe kaum setzen können. „Die Motive und Emotionen von Leipzig werden international weit weniger Gewicht haben. Da muss noch einiges hinzukommen – und zwar Wesentliches“, glaubt entsprechend das in internationalen Sportdingen erfahrene NOK-Ehrenmitglied Helmut Digel.

Auch der deutsche IOC-Vizepräsident Thomas Bach möchte „diesen geschichtlichen Effekt nicht überbewerten“, sieht für Leipzig aber dennoch „sicherlich Chancen“, allerdings nur, wenn „in Richtung Infrastruktur“ noch einiges verbessert werde. Selbst Walther Tröger, lange Zeit Bachs Gegenspieler in der nationalen Sportpolitik, kann da nicht widersprechen. „Dass Leipzigs Geschichte auch international greift, kann ich mir nicht vorstellen“, sagt der NOK-Ehrenpräsident, schon gar nicht im IOC. „Da wissen doch 50 Prozent nicht, wo Leipzig liegt“, glaubt IOC-Mitglied Tröger von seinen Kollegen. „Mit Leipzig allein kann man international nichts werden“, schiebt er nach.

Ein Manko, das Tröger mit einem einfachen Trick aus der Welt schaffen möchte: Nicht Leipzig, sondern in erster Linie Deutschland müsse weltweit als Bewerber für die Spiele 2012 offeriert werden. „Die Stadt ist doch nicht entscheidend“, glaubt Tröger, Deutschland aber könne durchaus als Entree zu den Spielen dienen. Bleibe nur die Frage, ob „international genug Zutrauen in eine deutsche Bewerbung vorhanden ist“. Beantworten kann diese ausgerechnet Ulrich Feldhoff, Strippenzieher bei Trögers Abwahl als NOK-Präsident. Der, von der eigenen Niederlage mit Düsseldorf noch schwer gezeichnet, will bei seinen Reisen quer durch die Welt „viele Sympathien für eine deutsche Bewerbung“ erkannt haben. „Wir haben eine Riesenchance, die sollten wir gemeinsam nutzen“, fordert Feldhoff, kurz zuvor noch als Spalter aufgetreten. Vielleicht mag auch deshalb mancher nicht so recht glauben, dass der deutsche Sport nach München nun endlich an einem Strang zieht, um die Spiele ins Land zu holen. „Viel wahrscheinlicher scheint mir“, sagt etwa Klaus Kotter, NOK-Vizepräsident, „dass da jetzt einige mit angezogener Handbremse arbeiten.“ Es wäre das Schlimmste, was der deutschen Olympiabewerbung passieren kann. KET

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