: Der 11. 9. der Meere
Die Entführung der „Sirius Star“ nach Somalia hat die afrikanischen und arabischen Staaten aufgeschreckt, die Versicherungssummen für Schiffe explodieren. Russland will mehr Kriegsschiffe schicken, bald startet die EU ihre Antipiratenmission. Die Anrainer sind gespalten
AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY
Der ägyptische Militärexperte Mohammad Kadry findet starke Worte, um das Treiben der Piraten vor Afrikas Küsten zu beschreiben. „Die Kaperung des saudischen Supertankers ‚Sirius Star‘ ist der 11. September der See,“ sagt er. Bisher habe man eine solche Aktion für unmöglich gehalten, genauso wie damals, als die Flugzeuge in das World Trade Center stürzten, sagt der Exgeneral und Sicherheitsfachmann des Al-Ahram-Zentrums für strategische Studien. „Es herrscht Staunen und Ratlosigkeit.“
Das dürfte auch auf die Krisenkonferenz der Anrainerstaaten des Roten Meeres übertragbar sein, die am Donnerstag in Kairo stattfand. Die arabischen und afrikanischen Staaten stecken in einem Dilemma. Es müsse mehr gegen die Piraten unternommen werden, fordern sie, andererseits sind sie aber nervös über die starke Präsenz ausländischer Flotten vor ihren Küsten. Die Kriegsschiffe aus acht Nationen sowie Schiffe der Nato und der 5. US-Flotte kreuzen am Golf von Aden. Russland hat am Donnerstag die Entsendung weiterer Kriegsschiffe angekündigt. Und die EU will in Kürze ihre eigene Antipiratenmission starten, die deutsche Regierung will nun schnell eine Beteiligung beschließen (siehe unten).
Jemens Vizeaußenminister Ali al-Ayashi forderte zum Kairoer Treffen eine stärkere arabisch-afrikanische Kooperation, um die Piraterie am Golf von Aden und am Horn von Afrika zu bekämpfen. „Es muss ein Mechanismus gefunden werden, wie die Anrainerstaaten besser zusammenarbeiten.“
Nervös sind vor allem die Ägypter, die einen Rückgang der für das Land lebenswichtigen Einnahmen aus dem Suezkanal verzeichnen.Wenngleich die Suezkanalbehörde zumindest öffentlich nicht zugibt, dass der Einnahmenschwund auch im Zusammenhang mit der Piraterie steht. Der Chef der Suezkanalbehörde, Ahmad Fadel, schiebt den Rückgang der Einnahmen auf die allgemeine Wirtschaftskrise – wohl um seine Kundschaft nicht zu verschrecken.
Fakt ist, dass sich die Versicherungsgebühren für eine Fahrt durch den Kanal wegen des Piratenproblems im Golf von Aden verzehnfacht haben. Diese Woche erlebten die Ägypter einen weiteren Rückschlag. Die norwegische Reederei Odfjell SE wies ihre 90 Tanker an, fortan die Route um Afrika herum zu benutzen und den Suezkanal zu meiden.
Ein wenig erleichtert dürften die Ägypter allerdings gewesen sein, dass am Wochenende der Tanker „Sirius Star“ nicht auf dem Weg zum Suezkanal, sondern zum Kap der Guten Hoffnung gekapert wurde – auf dem Weg um Afrika herum. Der Aktionsradius der Piraten reicht inzwischen so weit wie die Strecke Paris – Moskau. Damit ist selbst die Alternativroute nicht mehr sicher.
Die „Sirius Star“ gehört der Tochter einer saudischen Reederei und transportiert mit über 300 Millionen Liter Rohöl ein ganzes Viertel einer saudischen Tagesproduktion. Nun werden die Saudis von den Piraten zur Kasse gebeten. 25 Millionen Dollar sollen diese für die Rückgabe des Tankers fordern – ein Viertel des Wertes der Fracht. „Wir wollen das nicht lange herauszögern, die Saudis haben zehn Tage Zeit, um die Forderung zu erfüllen,“ meldete sich ein Pirat zu Wort. „Ansonsten“, warnte er, „werden wir etwas unternehmen, dessen Folgen katastrophal sind.“
Zahlen die Saudis, dann hätte sich für die Piraten das bisher in diesem Jahr durch Kaperungen eingenommene Lösegeld von schätzungsweise 30 Millionen Dollar fast verdoppelt. Vielleicht können die Reeder noch über die Summe verhandeln, aber allzu viel anderes, als zu zahlen, wird ihnen nicht übrig bleiben. Haben die Piraten erst einmal ein Schiff in ihre Gewalt gebracht, ist es praktisch unmöglich, es zurückzuerobern, ohne das Leben der Besatzung und im Fall des voll beladenen Tankers eine Umweltkatastrophe zu riskieren.
„Wir brauchen Lösungen, die nicht in unseren Büchern stehen“, fordert der Militärexperte Kadry. In den 90er-Jahren habe man den Terrorismus noch nicht als globale Gefahr wahrgenommen, ähnlich wie heute die Piraterie. Dann habe man enorme Mittel in die innere Sicherheit und die Sicherung der Luftfahrt gesteckt. „Die Meere, auf denen der Großteil des Fernhandels weltweit abgewickelt wird, hat man dabei schlicht vergessen.“