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Archiv-Artikel

„Nie wurde so radikal zerstört“

Der britische Archäologe Alex Hunt über die Plünderungen im irakischen Nationalmuseum von Bagdad und den Handel mit antiken Kuntswerken

Interview BRIGITTE WERNEBURG

taz: Herr Hunt, die Plünderung des Nationalmuseums schockiert momentan die Welt. Kennen Sie einen vergleichbaren Vorgang?

Alex Hunt: Wahrscheinlich muss man bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs zurückgehen, als enorme Mengen von Kunst verschoben wurden. Wir haben ja heute noch mit dem Problem der Raubkunst zu tun. Allerdings, selbst damals haben wir es – jedenfalls meines Wissens nach – nie beobachtet, dass ein Museum dieser Größe und Bedeutung so radikal zerstört wurde.

Britische und amerikanische Archäologen und Altertumsforscher haben ihre Regierungen immer wieder gebeten, für die Sicherheit der irakischen Kulturschätze zu sorgen. Warum ist nun gar nichts zu ihrem Schutz passiert?

Ich bin ratlos. Vielleicht lag es daran, dass das irakische Regime so schnell kollabierte. Allerdings scheinen unsere Truppen überhaupt wenig darauf vorbereitet gewesen zu sein, Kontrolle über die Zivilbevölkerung auszuüben. Es gab ja überall Plünderungen, selbst in Krankenhäusern.

Aber die US Army stellte Panzer ab, um das Ölministerium zu schützen. Warum ging das nicht beim Nationalmuseum?

Das ist eine sehr gute Frage. Wir haben seit Wochen bei unserer Regierung nachgefragt, welche Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, um die archäologischen Kulturgüter zu schützen. Wir bekamen nur sehr kurzen Bescheid, die Angelegenheit werde ernst genommen, Vorsorgemaßnahmen getroffen. Doch diese wurden uns nicht näher erläutert.

Fühlen Sie sich als britischer Ärchäologe besonders verantwortlich für das Versagen Ihrer Truppen hinsichtlich des Kunstraubs und Plünderns?

Ganz bestimmt. Der offene Brief an den Guardian ist beispiellos, was die unterzeichnenden Institutionen anbelangt. Wir sind sehr besorgt, dass die Kulturgüter so intakt wie möglich diesen Krieg überstehen.

Nach der Genfer Konvention sind Sie dazu verpflichtet.

Sicher. Unglücklicherweise haben weder Großbritannien noch die USA einen anderen wichtigen Vertrag unterzeichnet, nämlich die Haager Konvention über den Schutz von Kulturgütern im Falle eines bewaffneten Konflikts. Es ist kein perfektes Rechtswerk, aber wir sehen, dass Unterzeichnerstaaten tatsächlich Schritte unternehmen, ihre Truppen in diesem Punkt besser zu unterrichten und besser vorzubereiten. Wir müssen uns anschauen, was die Armeen in anderen Ländern in dieser Hinsicht schon in die Wege geleitet haben.

In Ihrem offenen Brief im Guardian warnten Sie davor, auf die Vorschläge des American Council for Cultural Policy (ACCP) zur Erleichterung von Ausfuhren aus dem Irak einzugehen. Welchen Einfluss hat diese Lobbygruppe reicher Sammler auf die amerikanische Regierung?

Nach dem, was ich weiß, schaffte sie es, bei einem Treffen auf höchster Ebene im Pentagon dabei zu sein. Das ist tatsächlich beunruhigend. Wenn man sich die Liste ihrer Mitglieder anschaut, sind da schon sehr einflussreiche Leute dabei. Man wird sich die Sammlungen und Museen, die von ACCP beraten werden, noch mal genauer anschauen müssen.

Welchen Vorwurf muss man den Irakern selbst machen?

Ich habe Interviews mit den Museumskuratoren gesehen, die über ihre Landsleute entsetzt waren und nicht begreifen konnten, dass sie ihre eigenen Museen zerstören. Da aber so viele Regierungsgebäude zerstört wurden, scheint es mir fast so, als ob die Museen auch als Regierungseigentum angesehen und entsprechend zerstört wurden. Die Menschen gehen durch eine sehr schwierige Zeit, und ein kurzfristiger Gewinn aus dem Verkauf einiger gestohlener Antiquäten mag da schon verlockend sein.

In Ihrem offenen Brief schreiben Sie auch, dass die Regierung dafür sorgen muss, das Großbritannien kein Handelsplatz für gestohlene Kunstwerke aus dem Irak wird. Wie sieht die Situation in Ihrem Land aus?

Wir haben ein Riesenproblem. Speziell in Großbritannien, denn wir haben hier bis heute weder eine strenge Import- noch eine rigide Exportgesetzgebung, was den Handel mit Antiquitäten angeht. Wir sind seit geraumer Zeit Komplizen im Handel mit illegalen Kulturgütern. Der Londoner Antiquitätenmarkt scheint ein ganz besonders lebhafter Platz für den Handel mit Kunstgegenständen aus dubiosen Quellen zu sein. Allerdings gibt es ermutigende Zeichen von der Regierung, hier gesetzgeberisch tätig zu werden. Vor kurzem unterzeichneten wir die Unesco-Konvention zum Handel mit Antiquitäten.

Der Handel mit irakischem Raubgut beginnt aber schon heute?

Wir können die Regierung nur drängen, mit Institutionen wie der Unesco zusammenzuarbeiten, die zum Beispiel in Afghanistan viel geleistet haben.

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