: Zehn Monate für brutalen Polizisten
Polizist überfährt Rollerfahrer: Gericht sieht „gefährliche Körperverletzung im Amt“, Staatsanwalt eine Verfolgungsjagd im Sheriff-Stil. Täter-Kollegen finden Urteil „unglaublich“. Das Opfer hat bis heute kein Wort des Bedauerns gehört
Bremen taz ■ Es war eine unglückliche Verkettung von Umständen: Ein Rollerfahrer war gestürzt, dann „rumpelte“ es unter dem ihn verfolgenden Polizeiwagen, und als die Beamten ausstiegen, lag der Fahrer mit seinen Verletzungen im Gras. So war nach der Aussage des Beifahrers im Polizeiwagen die Geschichte im Juli 2002 passiert. Der Beifahrer hätte der entscheidende Zeuge sein können. Der Fahrer des Polizeiwagens erklärte vor Gericht, er habe den Rollerfahrer aus dem Blickfeld verloren, ihn schlicht nicht mehr gesehen, bevor es rumpelte. Klare Sache also? Mit mehreren Streifenwagen waren Polizeibeamte gestern zur Urteilsverkündung gegen ihren Kollegen gekommen. Und wenn es nach ihnen gegangen wäre, ganz klar, dann hätte man den Kollegen freisprechen müssen.
Aus Kumpanei gelogen
Der Richter verhängte eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung im Amt mit bedingtem Vorsatz. Denn das Gericht ist davon ausgegangen, dass der Beifahrer im Polizeiwagen gelogen hat, aus Kumpanei, und hat ihn deshalb nicht einmal als Zeugen geladen. Die Staatsanwaltschaft wird Ermittlungen einleiten wegen versuchter Strafvereitelung im Amt. Denn so, wie der Polizist das gegenüber der Staatsanwaltschaft geschildert hatte, kann es nicht gewesen sein. Der junge Rollerfahrer hatte Glück, dass mehrere Anwohner an dem lauen Sommerabend vor der Tür saßen und den Vorfall mitbekamen (vgl. taz 10.2.) Und er hatte Glück, dass der Sachverständige Gutachter die Unfall-Spuren am Roller und am Auto eindeutig interpretieren konnte.
Demnach war es so, dass der Polizeiwagen den Rollerfahrer mit einer Geschwindigkeit von rund 50 Kilometer pro Stunde so dicht verfolgte, dass er ihn schon auf der Straße zweimal „touchierte“. Der Fahrer ließ danach jedoch nicht mehr Sicherheitsabstand, sondern bretterte hinter dem Rollerfahrer hinterher auf eine Wiese. Die Spuren an den Fahrzeugen seien eindeutig, hatte der Gutachter erklärt, der Roller sei in aufrechter Position gewesen, als er von der Stoßstange des Polizeiwagens getroffen und regelrecht umgeschmissen wurde. Der Rollerfahrer wurde überrollt und lag sechs, acht Meter von dem Roller entfernt. Wenn er beim Überrollen den Kopf erwischt hätte, hätte der Mann tot sein können, sagte der Richter. Eine Erklärung für das Verhalten des Polizisten, den er von seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Öffentliche Verwaltung kenne, habe er nicht gefunden, meinte der Richter. Der Polizeiwagen war in der Dunkelheit etwa 20 Meter auf die Wiese hinaufgefahren, Bremsspuren seien nicht gefunden worden. Er könne sich des Eindrucks nicht verwehren, dass der Polizeibeamte, nachdem er den Rollerfahrer zweimal vorher nach eigenen Angaben „touchiert“ hatte, ihn auf der Wiese regelrecht erwischen wollte.
Kein Wort der Entschuldigung
Der Staatsanwalt hatte dieses Strafmaß mit der Begründung gefordert, es handele sich um einen „unglaublichen Vorfall“, der eine „Sheriff-Mentalität“ zum Ausdruck bringe und „das Ansehen der Polizei schädigt“. Die anwesenden Polizisten-Zuschauer quittierten diese Begründung des Staatsanwaltes mit der Bemerkung „unglaublich“ und scherzten auf dem Flur, wenn jemand einmal mit dem Auto des Staatsanwaltes wegfahre, dann werde man nachwinken nach dem Motto: „Wir wollen doch hier keine Sheriff-Mentalität zeigen.“ Nachdenklich schien jedenfalls keiner der Prozessbeobachter in Uniform. Auch der angeklagte Polizist hat den schwer verletzten Rollerfahrer, der wochenlang im Krankenhaus lag, kein einziges Mal angesprochen, um sich zu entschuldigen oder zum Ausdruck zu bringen, dass er seine damalige Verhaltensweise bedauert. Klaus Wolschner