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Archiv-Artikel

Der unvollendete Mann

Nach dem Erfolg von „Magnolia“ und „Boogie Nights“ hat sich Paul Thomas Anderson in Selbstbescheidung geübt. „Punch-Drunk Love“, sein neuer Spielfilm, verzichtet auf die epische Breite der Vorgänger. Adam Sandler gibt einen aggressiven Trottel. Seine Verletzlichkeit steckt im aralblauen Anzug

Die Widescreen-Aufnahmen verlangen nach einem epischeren Ansatz

von SVEN VON REDEN

„Magnolia“ sei ohne Zweifel der beste Film, den er je machen werde, behauptete Paul Thomas Anderson im Dezember 1999 in der New Yorker Village Voice. Da war er 29 Jahre alt. Im folgenden Februar gewann sein Drei-Stunden-Epos den Goldenen Bären auf der Berlinale. Schnell wurde „Magnolia“ zu einem der wichtigsten Filme der 90er erkoren.

Drei Jahre und ein Film später wirkt P. T. Anderson wie eine Figur aus einem Film von Wes Anderson: Wie eines der erwachsen gewordenen Kindergenies aus den „Royal Tenenbaums“ scheint er seine besten Jahre hinter sich zu haben. Hollywood liebt den Erfolg, aber noch mehr die Katastrophe. 17 Millionen Dollar spielte „Punch-Drunk Love“ in den USA ein. Für einen Independent-Film wäre das eine stolze Summe, nicht aber für einen Film mit Adam Sandler in der Hauptrolle. Dessen letzte Filme spielten in den USA im Schnitt 110 Millionen Dollar ein.

Dabei ist Sandler wirklich ein Grund, sich „Punch-Drunk Love“ anzusehen. Anderson erweist sich als Meister darin, die dunkleren und verletzlicheren Seiten männlicher Hollywoodstars aufzuspüren. Aus dem ewig virilen Burt Reynolds machte er in „Boogie Nights“ einen Pornoproduzenten mit erstaunlich familiärer Ader, aus dem smarten Alphatier Tom Cruise wurde in „Magnolia“ ein psychisch angeknackster Testosteron-Guru, und auch Adam Sandlers Image des unvollendeten Mannes gibt Anderson in „Punch-Drunk Love“ durch leichte Überdrehung neuen Spielraum.

Sandler spielt Barry Egan, einen Kleinunternehmer, der aus einer Lagerhalle im San Fernando Valley heraus Gimmick-Toilettenartikel verkauft. Nebenher sammelt er Puddingbecher. Er hat herausgefunden, dass er mit den darauf abgedruckten Gutscheinen genug Bonusflugmeilen sammeln kann, um nie wieder für ein Flugticket zahlen zu müssen. Barry hat keine Freundin, dafür aber sieben Schwestern, die immer wieder versuchen, ihn zu verkuppeln. Doch er ist zu schüchtern und macht lieber Telefonsex.

Barry bemüht sich um Seriosität, aber für seine Umwelt bleibt er ein Trottel. Seine Schwestern hänseln ihn mit Geschichten aus der Kindheit und nennen ihn „gay boy“, seine Latino-Angestellten zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit ihres Chefs. Und dann ist da noch Barrys neuer aralblauer Anzug, in dem er aussieht wie Jerry Lewis. Sandler ist es gewohnt, Trottel zu spielen, aber liebenswerte Trottel. Bislang haben ihn Regisseure noch nicht dazu gebracht, Szenen von solch emotionaler Nacktheit und zugleich schwerlich gezügelter Aggressivität zu spielen. Anderson ist das gelungen. Bei einer Familienfeier tritt Barry eine Fensterscheibe ein. Wenig später sucht er Rat bei einem seiner Schwäger, der Arzt ist. Barry gesteht, psychische Probleme zu haben, und beginnt zu weinen. Doch der Schwager kann ihm nicht helfen – er ist Zahnarzt.

Im komplexen Beziehungsgeflecht von „Magnolia“ fiel nicht so sehr auf, dass Anderson dazu neigt, die Probleme seiner Protagonisten umstandslos aus kindlichen Verletzungen herzuleiten. In „Punch-Drunk Love“ tritt diese Schwäche offen zutage: Sandlers Dysfunktion wird allzu offensichtlich auf das matriarchalische Schwesternregime zurückgeführt. Doch nicht nur hier verkürzt Anderson. Bei der Liebesgeschichte, die schließlich Barrys Heilungsprozess in Gang setzt (er richtet seine Aggressionen nicht mehr gegen Sachen, sondern gegen seine Peiniger), bleibt im Dunkeln, warum sich diese beiden Menschen zueinander hingezogen fühlen.

Die Liebe zwischen Lena (Emily Watson), und Barry scheint fast so wunderlich wie die Kröten, die in „Magnolia“ vom Himmel fallen. Anderson lässt ihr zu wenig Zeit. Offensichtlich wollte er sich nach zwei Filmen mit einer Länge von über zweieinhalb Stunden selbst bescheiden und es mit einem regulären 90-Minuten-Format probieren, doch bereits seine wie immer brillant durchkomponierte Anfangssequenz sprengt den eng gesetzten Rahmen. Die Hälfte des Filmes ist vorbei, als Barry und Lena ihr erstes Date haben. Der Rest wirkt gequetscht. Auch die grandiosen Widescreen-Aufnahmen mit Anspielungen auf die Fotos von Andreas Gursky verlangen nach einem epischeren Ansatz.

„Punch-Drunk Love“ ist offensichtlich ein Werk der Selbstbeschränkung. Dass es Anderson nicht gelingt, seine überbordende Talente zu bändigen und ganz in den Dienst einer einfachen Liebesgeschichte zu stellen, spricht nicht gegen die Ernsthaftigkeit des Versuchs. Das nächste Mal macht er sich hoffentlich wieder an ein groß angelegtes Sittengemälde Kaliforniens. Wenn er noch Geldgeber findet.

Dabei sollte er an Robert Altman denken. Andersons offensichtlichstes Vorbild hat im Laufe seiner Karriere mehrere Comebacks gemeistert und nach über 50 Jahren im Filmgeschäft mit „Gosford Park“ vor kurzem einen seiner besten Filme gemacht. Es gibt ein Leben nach dem ersten Meisterwerk.

„Punch-Drunk Love“. Regie: Paul Thomas Anderson. Mit Adam Sandler, Emily Watson u. a. 97 Min.