: Großbritannien nach Saddam setzt Blair kein Denkmal
Der britische Premierminister scheint nach dem Sieg im Irak innenpolitisch unangreifbar, aber die mangelnde Begeisterung seiner Parteibasis schwächt seine Position
BERLIN taz ■ Seit 1982 hat kein Krieg einem britischen Premierminister so gut getan. Wie einst Margaret Thatcher nach der Rückeroberung der Falklandinseln schwimmt Tony Blair nach dem Irakfeldzug auf einer Woge der Popularität. In den Umfragen liegt seine Labour-Partei wieder bei über 40 Prozent, die Konservativen sind wieder bei unter 30. Und von parteiinternen Kritikern wie dem am 17. März unter dem Applaus der Öffentlichkeit zurückgetretenen Parlamentschef Robin Cook spricht man heute nur noch in der Vergangenheitsform.
Die Frage ist jetzt nicht mehr, ob Blair den Krieg übersteht, sondern was er mit seinem Erfolg anstellt. Thatcher kam als neoliberale Umstürzlerin erst nach dem erfolgreichen Waffengang im Südatlantik so richtig in Fahrt. Blair hingegen ist schon sechs Jahre im Amt und wirkt innenpolitisch verbraucht. New Labours große Reformprojekte für Großbritannien, von Verfassungsveränderungen bis zu einer Revolutionierung der öffentlichen Dienstleistungen, scheinen festgefahren und verstricken sich im Teufelskreis des Details. Dafür ist daher auch nicht Visionär Blair zuständig, sondern der technokratische Finanzminister Gordon Brown.
Für Weltstaatsmann Blair bleibt da am ehesten noch das weitere Vorpreschen in der Außen- und Europapolitik. Einfach ist das nicht. Die Beziehungen zu Kontinentaleuropa sind schlechter als je zuvor in seiner Amtszeit. Ein Beitritt zum Euro scheint ausgeschlossen, denn noch nie waren so wenige Briten dafür. Außerdem ist auch für den Euro Gordon Brown zuständig, und voraussichtlich wird dieser in der nach Ostern anstehenden Bekanntgabe, ob der Euro die ökonomischen Tests des britischen Finanzministeriums besteht, „Noch nicht“ sagen.
Von Blairs Traum, als Bindeglied zwischen dem europäischen Festland und den USA zu dienen, bleibt wenig übrig. Die US-Regierung respektiert Blair, aber Europa interessiert sie nicht. Die US-kritischen Teile der EU können ihrerseits jetzt nicht einfach London ihre Interessenvertretung in Washington anvertrauen. Ob es viel hilft, dass Bundeskanzler Schröder gestern nach einem Treffen mit Blair die große Bedeutung der transatlantischen Beziehungen für den Aufbau eines demokratischen Irak betonte, bleibt deshalb zweifelhaft.
So bleibt Blair nur die Genugtuung, zumindest militärisch die Führungsnation der EU zu sein. Außerdem könnten verdrängte globale Reformprojekte wiederauferstehen, zum Beispiel ein konzertierter Kampf gegen Armut in Afrika, den Blair beim nächsten G-8-Gipfel in Frankreich im Juni wieder auf die Tagesordnung setzen möchte.
Vorher aber haben die britischen Wähler das Wort. Am 1. Mai wird in Schottland das Parlament neu gewählt, und in großen Teilen Englands außerhalb Londons gibt es Kommunalwahlen. In beiden Urnengängen dürfte Labour Schiffbruch erleiden. Die gigantische Antikriegsdemonstration vom 15. Februar und die parlamentarischen Revolten von Labour-Abgeordneten gegen den Krieg reflektierten eine extrem rebellische Stimmung an der Parteibasis.
Wenn die Umfragen stimmen, dürfte der Sieg im Irakkrieg Labour am 1. Mai zwar neue Stimmen zutreiben, aber die Partei selbst ist gespalten und geschwächt. Aus manchen englischen Städten wird berichtet, dass die Hälfte der Labour-Mitgliedschaft ausgetreten ist und noch mehr Aktivisten sich weigern, Wahlkampf für den 1. Mai zu machen. Viele von ihnen liebäugeln mit den kriegskritischen Grünen oder Liberaldemokraten, die beide mit beträchtlichen Gewinnen rechnen dürfen. Und in Schottland sind Sozialisten und Nationalisten auf Stimmenfang.
Eine demoralisierte Partei und ein aufgeputschter Premierminister – dieser Kontrast ist in der jüngeren britischen Geschichte einmalig. Blair hat zwar bei seinen jüngsten parteiinternen Nominierungen seine Kritiker etwas besänftigt. So wurde der als Traditionalist geltende Ian McCartney neuer Geschäftsführer, als John Reid Anfang April den zurückgetretenen Robin Cook als Fraktionschef ablöste. Aber da keine der beiden Personen als starke Führungsfigur gilt, bleibt der Eindruck zunehmender Irrelevanz des Parteiapparats für Blairs Entscheidungsfindung zurück.
„Der Konflikt ist noch nicht vorbei“, sagte der Premierminister gestern vor dem britischen Unterhaus. „Es werden schwierige Zeiten kommen, und es werden noch Kämpfe und Friedensbemühungen nötig sein.“ Er meinte den Irak. Er hätte auch Großbritannien sagen können. DOMINIC JOHNSON