: Communist Chic
„Den Westen überholen“: In letzter Zeit droht durch Filme wie „Good Bye Lenin“ oder dem geplanten Berliner „DDR Fun Park“ die Verputzisierung der Warenwelt der DDR. Doch gibt es auch Forscher wie Günter Höhne, die dagegen ansammeln
von SANDRA LÖHR
„Wenn der Osten gewonnen hätte, dann würde ich jetzt eben altes Zeug aus dem Westen sammeln“, sagt Günter Höhne und pustet liebevoll den Staub von einem Fünfzigerjahre-Radio made in GDR. Die Geschichte ging bekanntlich anders aus, und deswegen stapeln sich heute fast 5.000 Tische, Lampen, Tassen, Stühle, Elektrogeräte und sonstige Alltagsgegenstände aus einem verschwundenen Land namens DDR in seinen Arbeitsräumen in Prenzlauer Berg. Als nach der Wiedervereinigung die Ostdeutschen ihre sozialistisch hergestellten Konsumprodukte auf dem Sperrmüll der Geschichte entsorgten, begann der ehemalige Chefredakteur der Ostberliner Zeitschrift Form + Zweck, diese zu sammeln. „Aber nicht jeden Mist, sondern nur echte Klassiker des DDR-Designs.“ Mit archäologischem Gespür sucht er nach vergessenen Dingen und gräbt immer wieder von der Zeit Verschüttetes aus – wie die längst nicht mehr hergestellte Küchenmaschine „Mixette“ von 1958, die er ungebraucht im Originalkarton fand. Im Innern lag noch die Auszeichnungsplakette „Gut geformt“ des Ministeriums für Kultur. Jahr für Jahr schleppt er so ganze Wohnungseinrichtungen auf seinen ausgebauten Dachboden, wo er alles mühevoll säubert, repariert und für seine Buchprojekte und Ausstellungen aufbereitet. Warum tut sich einer das an?
„Wenn ich es nicht mache, wer dann? Die Sachen sind doch schließlich nicht nur Vertreter, sondern auch Botschafter einer anderen Kultur, die immer mehr vergessen wird.“ Doch mit einer ewig gestrigen, politischen Ausrichtung hat das alles wenig zu tun. Günter Höhne will die DDR nicht zurück. Aber er will auch nicht über sie lachen. Er möchte, dass sie endlich ernst genommen wird. Oder zumindest das, was von ihr übrig geblieben ist. Der freiberufliche Journalist und Kurator ist eine Art Einzelkämpfer, der 13 Jahre nach dem Mauerfall findet, dass mit dem zeitlichen Abstand endlich eine neue Sicht auf diese Zeit entstehen müsste. Er sammelt, weil eine neue Generation heranwächst, der man zeigen muss, dass es viele Sachen gab, die es wert sind, aufgehoben zu werden.
Anfang der 90er-Jahre interessierten sich nur wenige Leute für seine ständig wachsende, akribisch zusammengestellte Sammlung ostdeutscher Konsumgüter, die dem sozialistischen Staat sein Gesicht verliehen hatten. Die DDR war tot und mit ihr auch die vielen unverwechselbaren Gegenstände sozialistischer Machart. Erst allmählich kam der Erinnerungsbetrieb – erstaunlich oft von Westdeutschen initiiert – auf Touren, der sich mit dem Ost-Alltag beschäftigte und beispielsweise zur Rettung der Ampelmännchen in Berlin führte. Zahlreiche Publikationen, Ausstellungen und Sammlungen – wie das Museum im Dokumentationszentrum Alltagskultur der DDR in Eisenhüttenstadt oder die Sammlung Industrielle Gestaltung in der Berliner Kulturbrauerei – entstanden.
Vor zwei Jahren schrieb Günter Höhne sein Buch „Penti, Erika und Bebo Sher. Klassiker des DDR-Designs“, mit dem er an die Produkte ostdeutscher Formgestalter erinnerte. Doch seine Mission sieht er damit als noch längst nicht beendet an. Momentan schreibt er an einem Lexikon über die DDR und bereitet seine Ausstellung „Gebrauchsgut/ Ostdeutsches Design mit Tradition“ für November im Leipziger Grassimuseum vor.
In letzter Zeit hat die sozialistische Konsumkultur nicht nur bei professionellen und passionierten Sammlern eine Hauptrolle gespielt, sondern beispielsweise auch im gesamtdeutschen Schenkelklopfer „Good Bye Lenin“. Hier muss sie der junge Held Alex vor dem Verschwinden retten. In manchen Kinos wurden ganze Foyers mit DDR- Devotionalien geschmückt und die Zuschauer dazu aufgefordert, sich daran zu beteiligen und bitte schön letzte Reste ihrer zu Hause lagernden Produkte sozialistischer Machart mitzubringen. Und sogar der einstige Klassenfeind ist schon aufmerksam geworden. Die amerikanische Kunstzeitschrift Metropolis feiert in ihrer Februar-Ausgabe ganz postmodern den „Communist Chic“. Sollte die DDR im Sommer 2004 in Form des geplanten „DDR Fun Park“ also tatsächlich auferstehen, dürften die Überbleibsel des real existierenden Sozialismus wohl endgültig zum Kult werden.
„Genau gegen diese wohlfeile wie vergängliche Geschichtsauffassung jage und sammle ich an.“ Günter Höhne kann mit dem retro-trendigen Bild einer putzigen DDR-Warenwelt nichts anfangen, sondern findet eher, dass der Westen heute von vielen Produkten noch etwas lernen kann, da diese im Unterschied zur kapitalistischen Wegwerfkultur einfacher, funktionaler und vor allem länger haltbarer sein mussten. So genannte Sollbruchstellen, die einen schnellen Verschleiß der Güter sicherstellten, gab es in der sozialistischen Planwirtschaft nicht. Beispielsweise brannten die ostdeutschen Narva-Glühbirnen sehr viel länger als ihre westdeutschen Pendants der Marke Osram. Da die Fabriken häufig unter Material- und Arbeitskräftemangel litten, wurde mit den Rohstoffen zwangsläufig sparsam umgegangen. Und aufwendige, bunt bedruckte Verpackungen waren sowieso tabu. War die DDR also damals – ökologisch und aus heutiger Sicht gesehen – doch innovativer, als es den Anschein hatte? Wird der alte Slogan „Den Westen überholen ohne einzuholen“ doch noch wahr?
So weit will sich Günter Höhne nicht aus dem Fenster lehnen. Aber auf jeden Fall ist es sicher keine Ostalgie, wenn die westdeutsche Firma „Manufaktum“ ein Kinderspielzeug in ihrem Sortiment anbietet, das schon 1950 an der Dresdener Hochschule für Bildende Kunst entworfen wurde und zahlreiche Kinder in der DDR beglückte. Der multifunktionale Schaukelwagen „Brockhage“, den man als Wippe, Kletterspielzeug und Schaukel benutzen kann, geht auf die Ästhetik des Bauhauses zurück und wird heute von einem Unternehmen aus dem Münsterland neu produziert.
„Die Bezeichnung ‚Echt DDR-Design‘ hat nichts Verächtliches mehr, sondern ist häufig ein Gütesiegel und Garant für einen stolzen Preis.“ Viele Sachen, die Günter Höhne noch vor ein paar Jahren hinterhergeworfen bekam, werden immer rarer – und damit teurer. Und so siegen zum Schluss wieder die einfachen Grundsätze des Kapitalismus.
Günter Höhne: „Penti, Erika und Bebo Sher – Klassiker des DDR-Designs“, Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2001, 276 S., 25,90 €. Ausstellungseröffnung: „Gebrauchsgut/Ostdeutsches Design mit Tradition“ im Museum für Kunsthandwerk/Grassimuseum Leipzig im November 2003