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Archiv-Artikel

Juden in Warschau

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Warschau nicht nur die Hauptstadt der polnischen Juden. Es war die größte jüdische Gemeinde Europas, und – nach New York – die zweitgrößte in der Welt. Hier lebten 337.000 Juden. Jeder dritte Warschauer war ein Jude. In ganz Polen lebten kurz vor Ausbruch des Krieges 3,5 Millionen Juden. Bedeutende jüdische Gemeinden gab es auch in Krakau, Lublin und Lodz sowie in Lemberg (heute Ukraine) und Wilna (heute Litauen). Seit der Unabhängigkeit Polens 1919 hatten alle jüdischen Parteien und Verbände ihren Hauptsitz hier: die Zionisten ebenso wie Agudat Israel oder auf der Linken der „Bund“; außerdem die jüdischen Gewerkschaften, viele Wohlfahrts- und Bildungsorganisationen. Trotz der Armut war das Bedürfnis nach Bildung groß. Die Gemeinde unterhielt zahlreiche jüdische Schulen, Synagogen, ein Museum, ein Theater und eine Bibliothek. In keiner anderen Stadt erschienen so viele jüdische Zeitungen und Zeitschriften in verschiedenen Sprachen.

Innerhalb von fünf Jahren Besatzungszeit in Polen ermordeten die Deutschen fast alle polnischen Juden. Nur rund zweihunderttausend von einst 3,5 Millionen überlebten. Nach dem Pogrom von Kielce 1946, bei dem Polen dann noch über vierzig Holocaust-Überlebende ermordeten, emigrierten die meisten Juden nach Amerika und Israel. Heute leben in Polen nur noch zehn- bis zwanzigtausend Juden. Nur in Warschau und Wrozlaw gibt es seit kurzem wieder jüdische Kindergärten und Schulen. Seit sechs Jahren erscheint in Warschau wieder ein jüdisch-intellektuelles Monatsmagazin: Midrasz.

Die meisten Warschauer Juden starben bereits im Ghetto an Hunger und Typhus oder später im Vernichtungslager Treblinka. Im Straßenbild Warschaus erinnert heute fast nichts an die Geschichte der Juden. Nur das große Ghetto-Denkmal, das Mahnmal am Umschlagplatz, das Jüdische Theater, die Nozyk-Synagoge und das Jüdische Historische Institut, in dem seit einigen Jahren eine sehr gute Ausstellung zu sehen ist. Außerdem gibt es dort eine kleine jüdische Buchhandlung. Zwar will die Stadt Warschau schon seit einigen Jahren ein Museum für die Geschichte der Juden Polens bauen, doch über konzeptionelle Vorbereitungen ist man noch nicht hinausgekommen. G. LESSER