: Sich an die eigene Nase fassen
betr.: „Diese Friedensbewegung braucht keiner“, Kommentar von Klaus-Peter Klingelschmitt, taz vom 16. 4. 03
Mit dem Vorwurf selektiven Vorgehens lässt sich jedes kritische Engagement mundtot machen. Das gilt sogar für mehr oder weniger kluge Leitartikel, die – selektiv – die Selbstgerechtigkeit der deutschen Friedensbewegung kritisieren. Müsste es nach Klingelschmitts Logik nicht auch da heißen: Wer nicht die Selbstgerechtigkeit der amerikanischen Friedensbewegung/ der Bellizisten/ der Medien/ der katholischen Kirche usw. kritisiert, sollte sich Kommentare zumThema deutsche Friedensbewegung verkneifen? Das wäre doch schade! JENS KENDZIA, Bonn
Die Creme der deutschen Intellektuellen klärt auf über die Friedensbewegung: Enzensberger in der FAZ, Rutschky und Klingelschmitt in der taz.
In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden: Auch ich bin auf die Straße gegangen, als gegen den Krieg demonstriert wurde. Ich ignorierte, dass ich damit alle anderen Kriege und sonstigen Ungerechtigkeiten auf der ganzen Welt rechtfertige. Ich sehe nun ein, dass es ein Anliegen der Menschlichkeit sein musste, ohne Rücksicht auf Verluste jene Kräfte zu befreien, die ihrerseits das Nationalmuseum in Bagdad von dem alten Plunder befreien wollten. Wenn die oben genanten Herren zustimmen, werde ich mich in Zukunft dafür einsetzen, dass dort nun ihre Werke den frei gewordenen Platz bekommen. Wäre das akzeptabel als Buße für mein frevelhaftes Tun? RUDOLF BÖCK, München
Was Klingelschmitt Antiamerikanismus nennt, ist das Eintreten gegen den letztlich auch von uns Deutschen zu vertretenden Angriffskrieg für Weltmacht und um Öl. Glaubt Klingelschmitt wirklich, dass der Krieg geführt wird, um einen gefährlichen Diktator zu beseitigen?
Rutschky geht – als Zyniker vielleicht – an dem Gedanken vorbei, dass es im 21. Jahrhundert einer überlegenen Weltmacht möglich sein sollte, moralisch vertretbare Ziele ohne Krieg zu erreichen und frei werdende Finanzmittel und Humankapital für sinnvolle Entwicklung auf der zerbrechlichen Erde einzusetzen.
Mein Protest und meine kritische Beobachtung der Entscheidung von US-Regierungen gehen von der Anerkennung der Führungsposition der befreundeten USA aus und sind getragen von der Hoffnung, deren Entscheidungen unter ethischen Ansprüchen begrüßen und mittragen zu können. Der Blick auf das Handeln der gegenwärtigen US-Regierung und der US-Wirtschaft in vielen Bereichen und veröffentlichte Erkenntnisse über Aktivitäten vergangener Regierungen lassen allerdings daran zweifeln, ob ein Führungsanspruch der USA heute durch anderes als überlegene Militärmacht gerechtfertigt sein kann. So bleibt nur, den Kommentarschreibern in ihrem offenbaren Denkansatz zu folgen: Wir folgen besser einer amoralischen, kurzsichtigen Politik, wenn wir sie nicht ändern können und – zumindest zur zeit noch – davon als Deutsche profitieren. JÜRGEN WEINERT, Göppingen
Die Fragen, wo die Menschen waren, als in Afghanistan „Frauen wie Tiere behandelt wurden“ muss sich in erster Linie Klingelschmitt selbst stellen, anstatt mit dem Finger auf die Friedensbewegung zu zeigen. Den einzigen Vorwurf, den ich gerne akzeptiere, ist der, dass wir die Unterstützung der Taliban-Vorläufer, der mörderischen Mudschaheddin, durch die US-Regierung Ronald Reagans nicht vehement genug (oder gar nicht) kritisiert haben, sondern uns zu sehr auf europäische Petitessen wie den atomaren Overkill konzentriert haben. […] Es ist eben viel einfacher, auf die Friedensbewegung pauschal einzudreschen, als zu hinterfragen, warum es keine politische Kraft in Europa schafft, rechtzeitig vor den politischen und menschlichen Katastrophen so stark zu werden, dass man eine nachhaltige Entwicklungs- und Friedenspolitik nicht mehr als netten Luxus sieht, auf den man auch verzichten kann. […] MARTIN STOCKER, Stuttgart
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